Zeitzeugen des Windes: was die Sandkörner in einer Düne verratenDer Geologe Sebastian Lindhorst hat anhand der Ablagerungen einer Wanderdüne auf Sylt rekonstruiert, wie stark der Wind in der Vergangenheit blies. Wo Messdaten fehlen, können die Informationen dieses Klima-Archivs zuverlässige Informationen liefern.
21. Februar 2017, von CEN Universität Hamburg
Foto: UHH/CEN/S. Lindhorst
Die Launen des Windes haben sie geformt: Mehr als 30 Meter hoch türmen sich Wanderdünen des Listlandes auf der Nordseeinsel Sylt. Sie erzählen die Geschichte ihrer eigenen Entstehung und verraten uns, wie stark der Wind im Laufe der Zeit über sie hinwegblies. Ähnlich wie bei Baumringen lässt sich aus der inneren Schichtung von Dünen die Vergangenheit ablesen. Um dieses Klima-Archiv zu entschlüsseln, haben mein Team und ich am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit den Aufbau einer Wanderdüne im Norden der Insel untersucht.
Historische Luftbilder aus der Zeit von 1936 bis 2009 zeigen, wie der Wind die Düne jährlich immer weiter nach Osten schiebt. Je nach Windstärke kann die Dünenfront in einem Jahr mal nur drei Meter, in einem anderen dagegen sogar sieben Meter wandern. Doch wo hat die Düne die entscheidenden Informationen darüber gespeichert, wann der Wind stärker oder schwächer blies?
Wichtige Hinweise geben unsere Georadarmessungen. Mithilfe dieser Daten konnten wir die Düne im Querschnitt darstellen – und sehen, wie der Wind die Sandkörner antrieb und Schicht für Schicht auftrug. Die Architektur der Düne ist sehr komplex und enthält viele Unregelmäßigkeiten. Trotzdem können wir ablesen, dass schwacher Wind nur die feinen Körner transportiert, während starker Wind eine Kaskade in Gang setzt und alle Körner bewegt. Ablagerungen mit vorwiegend kleinen Körnern weisen also auf schwachen Wind hin, während Schichten mit sehr vielen unterschiedlich großen Partikeln unter stürmischeren Verhältnissen abgelagert wurden. Erreicht der Kamm der Düne einen kritischen Winkel, geht der Sand auf der windabgewandten Seite als Lawine nieder. Diese Schichtung fällt nach Osten hin ab – das Ergebnis der meist von Westen wehenden Winde an der Nordseeküste.
Um herauszufinden, wie die unterschiedlich großen Sandpartikel in der Düne verteilt sind, sammelten wir fast 5000 Proben. Das war nur im Winter möglich als der Boden gefroren war. Jetzt konnte der Wind unsere Proben nicht verfälschen, da die Schichten vorübergehend konserviert waren. Mit Spitzhacke und Spaten legten wir einen 245 Meter langen Graben in Wanderrichtung der Düne an und entnahmen am Boden des Grabens alle fünf Zentimeter je einen Fingerhut voll Sand.
Diese Proben brachten wir ins Labor, um mithilfe eines speziellen Laser-Messgerätes das Größenspektrum der enthaltenen Sandkörner zu bestimmen. Dabei wird der Laserstrahl von unterschiedlich großen Partikeln verschieden stark abgelenkt. Das erzeugte Beugungsmuster gibt Aufschluss über die Korngrößenverteilung der jeweiligen Probe. Der Mittelwert der Größenverteilung lieferte uns letztendlich ein Abbild der Windintensität zur Zeit der Ablagerung der Sandkörner der entsprechenden Probe.
Doch wie aussagekräftig sind unsere Ergebnisse? Um dies zu überprüfen, verglichen wir sie mit den Messungen einer nahe gelegenen Wetterstation, welche über Winddaten seit 1950 verfügt. Und siehe da: die jährlichen Windintensitäten stimmen in beiden Datensätzen überein. Beide zeigen zum Beispiel für die 1960er Jahre einen prägnanten Anstieg der Windgeschwindigkeit. Auch der Beginn des 20ten Jahrhunderts war laut unserer Rekonstruktion sehr stürmisch – genau wie in historischen Aufzeichnungen jener Zeit.
Unsere Methode funktioniert also sehr gut! Wo Messdaten fehlen, kann unser Dünenarchiv zuverlässige Informationen über den Wind der Vergangenheit liefern. Diese Informationen helfen, Klimarechenmodelle zu überprüfen und ermöglichen so eine verbesserte Vorhersage der zukünftigen Entwicklung des Wind- und Sturmklimas.
Dieser Artikel erschien am 13. Februar 2017 als Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt.