Mit Wotans Hilfe schauen, wie der Wind weht
3. April 2019, von Kerstin Schäfer, CEN
Foto: privat
Sägen, kleben, Daten jagen: Bis mir Hamburg im Kleinformat zu Füßen lag, hat es Monate gedauert. Erst musste ich herausfinden, wie jedes einzelne Gebäude zwischen Elbphilharmonie und Großmarkt aussieht. Wie hoch ist es, welche Form hat das Dach, sind Durchgänge oder Überstände vorhanden? Ich habe Grundrisse von der Stadt angefordert oder selbst vor Ort nachgeschaut. Anhand der zusammengetragenen Informationen habe ich Zeichnungen angefertigt, diese zu einer der feinmechanischen Werkstätten an der Universität Hamburg geschickt und im Anschluss hunderte Modelgebäude auf Holzplatten geklebt. Im Maßstab 1:500 ragten dreistöckige Häuser gerade mal 2,1 Zentimeter empor, die Elbphilharmonie 22 Zentimeter. Dann endlich kam der Moment, in dem ich „Wotan“ anschalten konnte.
Nun konnte ich im Grenzschicht-Windkanal beobachten, wie Luftströme durch Häuserschluchten und Hinterhöfe ziehen, wie sich Schadstoffe ausbreiten oder einzelne Gebäude den Wind ausbremsen: Wichtige Informationen für Planer, die Städte fit für die Zukunft machen wollen. Denn der sich abzeichnende Klimawandel wird Metropolen besonders hart treffen; beispielsweise, wenn sie sich während häufigeren Hitzeperioden mit höheren Temperaturen in Backöfen verwandeln, die nachts kaum noch abkühlen. Damit Stadtbewohner trotzdem durchatmen und gesund bleiben können, beteilige ich mich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) an einem bundesweiten Forschungsprojekt zum Stadtklima. Immerhin leben weltweit – und auch in Deutschland – die Hälfte aller Menschen in Städten.
Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung einer Software, die berechnet, wie der Wind durch eine Stadt weht und diese kühlt – und das, bevor die Stadt, der Stadtteil oder ein einzelnes Gebäude gebaut worden sind. Damit die Software möglichst genau wird, gleichen deren Entwicklerinnen und Entwickler die Rechenergebnisse mit Messdaten ab. Messdaten aus der Natur bilden die Realität ab, sind aber auch verwirrend, weil unendlich viele Faktoren eine Rolle spielen: drehende Windrichtungen; Luftströmungen aufgrund der Erwärmung im Tagesverlauf; Fahrzeuge, die Luft in Bewegung setzen. Im Windkanal kann ich hingegen Daten erheben, die ausschließlich den Einfluss von Wind wiederspiegeln.
Neben der Hansestadt Hamburg habe ich weitere Ballungszentren als „Referenzstädte“ nachgebaut. Ihre Luftzirkulation unterscheidet sich erheblich. Während der Wind in Hamburg über die weiten, offenen Wasserflächen ins Stadtzentrum fegen kann, staut sich die Luft in Stuttgart häufig zwischen den umliegenden Anhöhen. Und in Berlin erschwert die schiere Streckenlänge jedem Lüftchen den Weg von den Vororten ins Zentrum.
Beim Nachbau der Städte musste ich vieles beachten. So durften die Oberflächen der Gebäude nicht zu rau und nicht zu glatt zu sein, um die Messungen nicht zu verfälschen. Als ideales Material erwies sich Styrodur: ein Dämmstoff, feinporiger und stabiler als Styropor. Die Luft saugen wir durch den Windkanal ab, statt sie hinein zu blasen, und lassen den Luftstrom erst auf Hindernisse prallen, bevor er die Stadtzentren trifft. So wird er realitätsnah verwirbelt.
Keine der drei Städte ist im Hinblick auf die Belüftung der Zentren ideal geplant. Wie sollten sie auch: Sie sind historisch gewachsen, und ihre Anfänge reichen in eine Zeit zurück, als noch niemand ahnte, dass die Temperaturen einmal so stark steigen würden. Wie warm es noch werden wird, können wir noch nicht genau abschätzen. Aber dass wir uns vorbereiten müssen, ist sicher; beispielsweise, indem wir Städte so planen, dass sie ausreichend belüftet sind.
Kerstin Schäfer ist Doktorandin am Meteorologischen Institut der Universität Hamburg und Mitglied des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN).
Dieser Artikel ist zuerst als Gastbeitrag im Rahmen einer monatlichen Serie zur Klimaforschung im Hamburger Abendblatt erschienen. Hier finden Sie weitere Artikel der Serie.