Ein Bild sagt mehr als 1000 Zahlen
19. Februar 2019, von Dr. Nuno Serra, CEN Universität Hamburg
Foto: UHH/CEN/N.Sera
Supercomputer erzeugen riesige Datenmengen, die schwer durchschaubar sind – es sei denn, Forschende verwandeln sie in einen Film.
Als Ozeanograph interessiert mich die Physik der Ozeane. Welche Kräfte setzen das Wasser der Weltmeere in Bewegung, welche Strömungsmuster gibt es? In den vergangenen 50 Jahren wurde auf diesem Gebiet viel neu entdeckt: Interne Wellen beispielsweise, die unter der Wasseroberfläche hunderte Kilometer zurücklegen können, oder rasch entstehende und wieder zerfallende Wirbel, die kurzzeitig enorme Wassermassen binden. Wie der bekannte Golfstrom und andere Meeresströmungen sind sie Teil unseres Klimasystems, denn sie transportieren Wärme und Energie und verteilen sie um.
Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg nehme ich die Wirbel unter die Lupe. Tatsächlich haben sie meinen Weg schon vor Jahren gekreuzt. Nur wusste ich das noch nicht, als ich die warme Strömung erforschte, die aus dem Mittelmeer kommend vor der Südküste meines Heimatlandes Portugal in den Atlantik fließt. An manchen Tagen bildet diese Strömung eine klar erkennbare Schicht, bis zu 200 Meter dick und drei Grad Celsius wärmer als das darüber liegende Wasser. An anderen Tagen ist die Schicht dünner, und an manchen schlicht und ergreifend nicht da.
Um herauszufinden, warum das so ist, habe ich die Strömung im Computer nachgebildet. Dafür habe ich Informationen über örtliche Gegebenheiten wie beispielsweise den Küstenverlauf eingespeist, dazu meine Messdaten und die physikalischen Gesetze, die auf der Erde gelten. Im Gegenzug lieferte der Rechner Zahlenkolonnen, die schwer zu interpretieren waren. Ein Aha-Erlebnis stellte sich erst ein, als ich sie in Bilder umzuwandeln begann. Dafür setzte ich viele Momentaufnahmen von Wassertemperaturen und Strömungen zu einem Film zusammen.
Mit einmal konnte ich sehen, wie sich die warme Strömung aus dem Mittelmeer im Atlantik verknäult und Wirbel bildet. Je nach Drehgeschwindigkeit nehmen diese eine breite und flache Form an oder sind schmaler und reichen in größere Tiefen – ähnlich wie eine Pirouetten drehende Eiskunstläuferin, die ihre Arme vom Körper abspreizt, um langsam zu rotieren, oder ihre Arme über den Kopf hebt, wenn sie schneller wird. Mein Film enthüllte, wie sich schnell drehende Wirbel um ihr Zentrum zusammenziehen; wie sich Lücken zwischen ihnen auftun und mit kaltem Atlantikwasser füllen. In solchen Lücken sucht man vergeblich nach warmen Wasser.
Seit diesem Erlebnis arbeite ich mit Visualisierungen, wann immer es geht. Sie erleichtern es mir, komplexe Vorgänge zu durchschauen und Zusammenhänge herzustellen. Wie kürzlich ein Film, der das Meer über der Schwelle zwischen Grönland und Norwegen zeigt: dort, wo der Golfstrom endet und sein abgekühltes Wasser in die Tiefe des Atlantiks stürzt. Mithilfe der Visualisierung verstand ich, warum dies nicht kontinuierlich geschieht, sondern in einzelnen Schüben. Wieder sind Wirbel im Spiel: Immer wenn ein aus Norden heranziehender Wirbel über die Schwelle kommt, sinkt eine gewisse Menge Kaltwasser ab.
Tatsächlich sind Visualisierungen heute aus der Klima- und Erdsystemforschung nicht mehr wegzudenken. Einige Kolleginnen und Kollegen haben sich sogar darauf spezialisiert: Im CEN-Visualisierungslabor animieren sie Ausflüge in fantastische Welten, die mit bloßem Auge unsichtbar sind. Für Forschende, die sich mit so flüchtigen und chaotischen Phänomenen wie Wirbeln im Ozean befassen, sind diese Filme ein außerordentlicher Gewinn. Sie helfen uns, die physikalischen Prozesse auf der Erde immer genauer zu verstehen – und damit auch das Klimasystem, seine Komponenten und mögliche Entwicklung in der Zukunft.
Dr. Nuno Serra ist Physikalischer Ozeanograph am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg und Mitglied im Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit.
Dieser Artikel ist zuerst als Gastbeitrag im Rahmen einer monatlichen Serie zur Klimaforschung im Hamburger Abendblatt erschienen. Hier finden Sie weitere Artikel der Serie.