Das Meer auf dem Untersuchungstisch
17. August 2018, von CEN Universität Hamburg
Foto: Corinna Harl, www.micori.de
Wie geht es unseren Meeren? Welche Schutzmaßnahmen sind sinnvoll? Ein Computermodell soll helfen, die richtigen Hinweisgeber zu finden.
Bis 2020 sollen die Meere laut Vorgabe der Europäischen Union sauber, gesund und produktiv sein. Ein hehres Ziel. Um es zu erreichen, müssen die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU zunächst wissen, wie es um die Meere steht. Wie finden sie das am besten heraus? Wie lassen sich passende Maßnahmen ableiten? Das untersuche ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) an der Universität Hamburg.
Die EU hat das Ökosystem Meer in verschiedene Bereiche aufgeteilt: Genau wie ein Arzt, der das Herz-Kreislaufsystem, die Verdauung oder das Immunsystem eines Patienten getrennt untersucht. Für jeden Bereich des Meeres wurde der Idealzustand definiert. Es soll etwa viele verschiedene Tiere und Pflanzen geben und möglichst viele Speisefische. Außerdem sollen alle Teile des Nahrungsnetzes – Tiere, Pflanzen, Bakterien und vieles mehr – so zahlreich sein, dass ihr langfristiges Überleben gesichert ist.
Zum Nahrungsnetz gehören alle sogenannten Fressbeziehungen: Fische verspeisen tierische Kleinstlebewesen, Zooplankton genannt, die sich wiederum von Algen ernähren. Bakterien verwerten alle toten Lebewesen. Der Bereich ‚Nahrungsnetz‘ ist wichtig, um den Gesamtzustand eines Meeres zu bewerten. Gleichzeitig ist es schwer, die Indikatoren zu finden, die eindeutige Hinweise auf seinen Zustand geben. Beim Menschen wäre ein Beispiel für einen guten Indikator die Körpertemperatur. Ist sie zu hoch, hat man Fieber – der Gesundheitszustand ist schlecht.
Wir haben für drei Gebiete der Ostsee 13 gängige Indikatoren überprüft. Diese werden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bereits genutzt, um den Zustand des Nahrungsnetzes zu beurteilen – aber sind sie tatsächlich geeignete Hinweisgeber? Sieben Indikatoren beziehen sich dabei auf Fische. Sechs weitere auf das Zooplankton: Wie viel gibt es davon? Wie groß sind die Minilebewesen im Durchschnitt?
Um zu prüfen wie gut die Indikatoren funktionieren, haben wir ein Computermodell entwickelt. Dieses füttern wir mit Messdaten der Indikatoren und von Umwelteinflüssen wie Klimawandel oder Überdüngung. Ein guter Indikator zeigt uns den Zustand des Nahrungsnetzes und reagiert schnell und eindeutig auf einen bestimmten Umwelteinfluss. Wird etwa Zooplankton im Schnitt kleiner, ist das ein Hinweis auf einen schlechten Zustand des Nahrungsnetzes. Auslöser ist eventuell Überdüngung – können wir diesen Zusammenhang belegen, ist die Gegenmaßnahme klar: weniger Dünger im Wasser.
Trotz vieler Berechnungen gibt es den einen, immer aussagekräftigen Indikator nicht. Die Gesamtmenge des Zooplanktons war etwa als Hinweisgeber für den Zustand des Nahrungsnetzes im Bornholm Becken und der Bottensee zwischen Schweden und Finnland gut geeignet, im Gotland Becken bewährte er sich kaum. Auch die Durchschnittsgröße des Zooplanktons veränderte sich im Bornholm Becken als Reaktion auf bestimmte Umwelteinflüsse nur minimal. Je nach Region reagierten bis zu der Hälfte der Indikatoren nicht wie erwartet auf Umweltveränderungen. Für das Bornholm Becken erwiesen sich sechs der Indikatoren als geeignet, um den Zustand des Nahrungsnetzes bewerten zu können. Für die beiden anderen Gebiete waren andere Kombinationen sinnvoll.
Für jede Region müssen also eine individuell passende Indikatoren ausgewählt werden. Unser Modell hilft Wissenschaft und Politik dabei, diese zu identifizieren. So wird es in Zukunft einfacher, den Zustand des Meeres zu bewerten – der erste Schritt, um das angestrebte Ziel sauberer und gesunder Meere bis 2020 zu erreichen.
Dieser Artikel erschien am 13ten August 2018 als Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt.
Dr. Saskia Otto ist Biologin und arbeitet am Institut für marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften der Universität Hamburg.