UN-Klimakonferenz COP23Weniger Emissionen in Straßenverkehr und Landwirtschaft bringen mehr als der KohleausstiegInterview mit Volkswirt Prof. Dr. Grischa Perino
15. November 2017, von CEN Universität Hamburg
Foto: UHH/RRZ/MCC/Mentz
Noch bis zum 17. November tagen in Bonn Delegierte aus aller Welt, um sich über gemeinsame Klimaziele zu verständigen und ein System zu entwickeln, wie Beiträge einzelner Staaten zum Klimaschutz messbar werden. Einst galt Deutschland international als Vorreiter im Klimaschutz, mittlerweile ist klar: Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen, auch weil die Wirtschaft nicht genügend Anreize erhält für einen effektiven Klimaschutz. Der Volkswirt Prof. Dr. Grischa Perino forscht zur Ökologischen Ökonomie. Im Interview erklärt er, welche Maßnahmen zu effektivem Klimaschutz führen könnten.
Käme das Verfolgen der selbst gesetzten Klimaziele einem „industriellen Selbstmord gleich“, wie FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorf kürzlich in einem Interview behauptete? Sind Ökonomie und Ökologie wirklich derart unvereinbare Gegensätze?
Die deutschen Klimaziele für 2020 jetzt noch zu erreichen, würde aufgrund der verbleibenden Zeit und der Größe der erforderlichen zusätzlichen Einsparungen nur mit drastischen Maßnahmen möglich sein. Die Emissionen müssten in den verbleibenden Jahren mehr als dreimal so schnell fallen, wie sie dies im Durchschnitt seit 1990 getan haben.
Ein großer Teil der erreichten Reduktionen wurde jedoch bereits in den Jahren vor 2000 durch die Stilllegung von Anlagen aus Zeiten der DDR erreicht. Seit 2009 sind die Treibhausgasemissionen laut dem Umweltbundesamt in Deutschland nahezu gleich geblieben.
Wichtiger als im Hauruckverfahren noch schnell die Ziele für 2020 einzuhalten ist meines Erachtens, dass jetzt in Deutschland und der EU die Weichen gestellt werden, um die Ziele für 2030 und 2050 zu erreichen.
Aber was wären geeignete Maßnahmen, damit Deutschland doch noch das selbst gesteckte Ziel, die klimaschädlichen Emissionen bis 2020 um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu drücken, einhalten kann?
Einer der am häufigsten diskutierten Vorschläge ist der Kohleausstieg. Durch das schnelle Abschalten von deutschen Kohlekraftwerken könnten die deutschen Treibhausgasemissionen tatsächlich deutlich reduziert werden.
Aufgrund des europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS), das eine EU-weite Obergrenze für Treibhausgase in zahlreichen Sektoren, darunter die Stromwirtschaft, festlegt und handelbare Emissionszertifikate generiert, stände der Reduktion deutscher Emissionen jedoch eine ähnlich große Erhöhung der Emissionen in anderen Mitgliedsstaaten gegenüber.
Die durch die Abschaltung der Kraftwerke freiwerdenden Zertifikate verschwinden nicht, sondern werden an anderer Stelle, z.B. in einem ausländischen Kraftwerk oder einer deutschen Aluminiumhütte verwendet. Dem Klima ist es aber egal, wo eine zusätzliche Tonne ausgestoßen wird.
Darum ist es wichtig, die deutschen Anstrengungen auf die Sektoren wie Straßenverkehr, dezentrale Wärmeerzeugung und Landwirtschaft zu konzentrieren, die nicht dem EU-ETS unterliegen, und gleichzeitig das EU-ETS zu stärken.
Letzteres geschieht – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – in diesen Tagen in Brüssel. Die Obergrenze wird bis 2030 deutlich stärker reduziert als dies unter den bisherigen Regeln der Fall gewesen wäre.
Laut Umweltbundesamt war der wachsende Verkehr verantwortlich für den Anstieg des CO2-Ausstoßes im Jahr 2016. Warum tut sich bspw. die Autoindustrie so schwer, einen Beitrag dazu zu leisten, den CO2-Ausstoß zu verringern?
Das hat verschiedene Gründe: Einerseits ist es eine technische Herausforderung, ohne fossile Energieträger eine hinreichend große Energiemenge mit möglichst geringem Gewicht auf kleinem Platz zu speichern, um damit die Reichweiten- und Komforterwartungen der Autokunden zu befriedigen.
Für die deutschen Hersteller verschärft sich dieses Problem aufgrund der von ihnen vorrangig bedienten Marktsegmente noch einmal. Für Wagen der gehobenen Mittel- und Oberklasse sowie Sportwagen sind die Leistungserwartungen und damit in der Regel der Energiebedarf noch größer. Hinzu kommt, dass es zum Teil für die Firmen erfolgsversprechender zu sein schien, sich für laxere Regulierung als für sauberere Antriebe stark zu machen.
Was wäre hier die Lösung?
Um die Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren, bedarf es eines Bündels von Maßnahmen. Neben strikteren Vorgaben für die Fahrzeuge selbst sind insbesondere Investitionen in klimafreundliche Infrastruktur sinnvoll. Dazu zählen neben Ladestellen für Elektroautos insbesondere attraktive Angebote des öffentlichen Nahverkehrs, des Gütertransports auf Schienen, gute und sichere Radwegenetze in Innenstädten und eine Städteplanung, die Verkehrsaufkommen reduziert.
All dies wird aber erst nach 2020 seine volle Wirkung zeigen.
Das Interview führte Giselind Werner.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Seite der Universität Hamburg.