Extreme Temperaturen: Europa wird wärmer, Türkei kühlt sich ab
22. Juni 2017, von CEN Universität Hamburg
Foto: pixabay.com/CCO
Dr. Christian Franzke hat sich extreme Temperaturen in Messreihen noch einmal genauer angeschaut und ist auf Außergewöhnliches gestoßen. Momentan wertet er die Daten der Messstation in Fühlsbüttel aus.
Das Wetter ist launisch, doch seine Kapriolen sind gut vermessen. So können wir in Europa auf Temperaturdaten ab 1950 zurückgreifen, die in einem engen Netz von Messstationen erhoben wurden. Ein gigantischer Datenschatz, der uns auch viel über das mittelfristige Klima verrät.
Fest steht: Im Durchschnitt wird es eindeutig wärmer. Doch wie sieht das konkret vor Ort aus? Um dies herauszufinden habe ich als Statistiker am CEN der Universität Hamburg die Messreihen noch einmal anders betrachtet – und Erstaunliches entdeckt.
Normalerweise bilden wir aus Messwerten Mittelwerte. Sie geben uns einen guten Überblick. Ich kann zum Beispiel die durchschnittliche Temperatur eines Jahres mit anderen Jahren vergleichen. Oder ich betrachte alle Sommer seit 1950 in einem Land oder einer bestimmten Region und untersuche die Entwicklung.
Mittelwerte sind jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Wenn zum Beispiel an einem Ort die Nächte immer kälter und die Tage gleichzeitig immer wärmer würden, würde dies den Mittelwert nicht verändern – hätte aber einen starken Effekt auf Mensch und Natur. Mich interessieren deshalb besonders die extremen Temperaturen und ob diese sich ebenfalls ändern. Denn ökologische Systeme sind unter radikalen Bedingungen oft besonders verwundbar.
Aber welche Werte sind extrem? Dazu definiere ich 90 Prozent aller Temperaturwerte als „normal“. Nur die jeweils kältesten und wärmsten fünf Prozent gelten als extrem. Eine bekannte Methode in der Statistik, in der Klimaforschung wurde sie allerdings bisher noch nicht angewendet.
Wir würden erwarten, dass sich die globale Erwärmung einfach als Plus auf die „normalen“ Temperaturen aufschlägt. Die heißen Tage werden also noch heißer, die kälteren Tage wärmer.
Die Ergebnisse zeigen aber deutlich: Während der Mittelwert der Temperatur – besonders in Frankreich und Deutschland – durchgängig gestiegen ist, haben sich die Extremwerte in Europa ganz unterschiedlich entwickelt. In Mittel- und Osteuropa wurden heiße Tage in den letzten 60 Jahren wie erwartet noch heißer. In Norwegen und Süd-Ost-Europa kühlten sich dagegen die heißen Tage tatsächlich ab. Ein Sonderfall ist die Türkei: In den letzten Jahrzehnten sind hier sowohl die heißen wie die kalten Tage kälter geworden.
Wie passt dies mit der Erwärmung durch den Klimawandel zusammen? Regional kann es starke natürliche Schwankungen des Klimas geben, die die globale Temperaturerhöhung quasi maskieren. Für die einzelnen Landstriche sind solche Ergebnisse enorm wichtig: Anstatt pauschal von zwei Grad Temperaturerhöhung auszugehen, kann die Politik unsere Ergebnisse nutzen und Stadtplanung und Landwirtschaft gezielt an die lokalen Bedingungen anpassen.
Zusätzlich habe ich deshalb Profile für einzelne Städte erstellt. Für Trondheim in Norwegen zeigt sich zum Beispiel, dass sich die Bandbreite der Temperatur seit 1950 verringert hat. Während damals die kältesten Temperaturen bei durchschnittlich minus 18 Grad Celsius lagen, betragen sie heute nur noch rund minus 14 Grad. Die wärmsten Tage liegen unverändert bei sechs Grad. Den Trondheimern sind also in den letzten 60 Jahren mehrere Gradpunkte im kalten Bereich „abhandengekommen“.
Ganz anders Berlin: Die kälteren Tage blieben mit durchschnittlich sieben Grad Celsius in etwa gleich. Die heißen Tage stiegen um rund zwei Gradpunkte auf rund 32 Grad an: Berlins Temperaturprofil hat sich erweitert. Zurzeit analysiere ich gerade die Daten der Messstation Fuhlsbüttel. In Kürze werden wir wissen, welcher Trend sich in Hamburg abzeichnet.
Dieser Artikel erschien am 12.06.2017 als Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt.
Christian Franzke forscht in der Arbeitsgruppe für theoretische Meterologie am Meterologischen Institut der Universität Hamburg.
Franzke, Christian L.E.: Local trend disparities of European minimum and maximum temperature extremes. Geophys. Res. Lett., 42, 6479-6484, doi: 10.1ßß2/2015GL065011