Wie sich Inseln gegen den steigenden Meeresspiegel wappnen
14. Juni 2016, von CEN Universität Hamburg
Foto: UHH/CEN
Neues aus der Klimaforschung: Einmal im Monat berichten Klimaforscher im Hamburger Abendblatt über aktuelle Erkenntnisse. Jan Petzold ist Geograf und erforscht, wie sich Küstenbewohner an einen steigenden Meeresspiegel anpassen.
Neues aus der Klimaforschung: Einmal im Monat berichten Klimaforscher im Hamburger Abendblatt über aktuelle Erkenntnisse. Jan Petzold ist Geograf und erforscht, wie sich Küstenbewohner an einen steigenden Meeresspiegel anpassen.
Durch den Klimawandel wird der Meeresspiegel vielerorts ansteigen. Daran kann sich der Mensch anpassen, indem er Schutzmauern baut, umsiedelt oder die Deiche erhöht. Doch was den Menschen an sich anpassungs- und widerstandsfähig macht, ist nicht durch Technik oder Geld zu realisieren. Es kommt bei Extremereignissen und Katastrophen auch auf die Fähigkeit zur Selbsthilfe, den nachbarschaftlichen Zusammenhalt und die Bereitschaft an, gemeinsam aktiv zu werden. In der Wissenschaft sprechen wir von Sozialkapital. Doch welche dieser Faktoren des Sozialkapitals stärken die Anpassungsfähigkeit an die Folgen des Klimawandels? Dieser Frage gehe ich als Geograf an der Universität Hamburg nach.
Dazu habe ich die Isles of Scilly untersucht, eine Inselgruppe vor der Südwestspitze Englands. Dort sind die Menschen seit jeher Stürmen und Überschwemmungen ausgesetzt. Die Gruppe besteht aus fünf Inseln mit rund 2.000 Einwohnern und einer Vielzahl kleiner, unbewohnter Inseln. Noch vor 3.000 Jahren lag der Meeresspiegel niedriger und viele der Inseln waren miteinander verbunden. Seit etwa 1.000 Jahren ist der Meeresspiegel relativ stabil. Doch nun kommt der Klimawandel und mit ihm steigt der Wasserstand an den Küsten Südwestenglands – im letzten Jahrhundert um 20 Zentimeter und bis 2100 sind durchschnittlich weitere 50 Zentimeter prognostiziert.
Für meine Analyse habe ich an etwa 900 Inselhaushalte Fragebögen verteilt und ausführliche Interviews mit Verwaltungspersonal, lokalen Organisationen und Privatpersonen geführt. Meine Ergebnisse zeigen: Einige Faktoren des Sozialkapitals sind auf allen Inseln stark ausgeprägt. Vor allem das gegenseitige Vertrauen und die große Hilfsbereitschaft bei Stürmen oder Überschwemmungen. Was die Anpassungsfähigkeit betrifft, gibt es allerdings große Unterschiede. Vor allem die Bereitschaft zum gemeinschaftlichen und eigenverantwortlichen Handeln unterscheidet sich prägnant.
Es zeigte sich: Auf den drei Inseln, die am isoliertesten von der Hauptinsel sind, ist aktives Handeln fester Bestandteil des Insellebens. Dort nehmen zwischen 64 und 83 Prozent der Bewohner Dinge wie Küstenschutz oder die Instandhaltung öffentlicher Einrichtungen selber in die Hand. Unabhängigkeit und Gemeinschaft prägen das dortige Leben. Der Einfluss der lokalen Inselverwaltung tritt dagegen in den Hintergrund.
Folglich ist ein hohes Sozialkapital nicht unbedingt damit gleichzusetzen, dass die Inselbevölkerung einem steigenden Meeresspiegel gegenüber gewappnet ist. Vielmehr müssen die entscheidenden Faktoren ausgeprägt sein. So ist meiner Analyse zufolge eine Insel besonders gut vorbereit, wenn die dort lebenden Menschen ihre Erfahrung, Ressourcen und Fertigkeiten einbringen und wenn lokale und selbstverwaltete Organisationsstrukturen aufgebaut wurden. Dazu braucht es Individuen und lokale Organisationen die die Inselgemeinschaft und dessen Sozialkapital mobilisieren – hin zu gemeinschaftlichem und eigenständigem Handeln. Letztendlich sind es diese Menschen, die die Inselgemeinschaft befähigen, sich zukünftig an einen steigenden Meeresspiegel und die Folgen des Klimawandels anzupassen.
Weitere Informationen
Zum CEN Forschungsbereich "Ozeanzirkulation und Änderungen des Meeresspiegels"