Mikrofossilien geben Auskunft: Steigt der Meeresspiegel an der Nordsee tatsächlich?
12. September 2013, von Ute Kreis
Neues vom KlimaCampus: Einmal im Monat berichten Klimaforscher im Hamburger Abendblatt über aktuelle Erkenntnisse. Gerhard Schmiedl ist Mikropaläontologe und analysiert historische Klimaschwankungen.
Neues vom KlimaCampus: Einmal im Monat berichten Klimaforscher im Hamburger Abendblatt über aktuelle Erkenntnisse. Gerhard Schmiedl ist Mikropaläontologe und analysiert historische Klimaschwankungen.
Beim Spaziergang am Nordseestrand finden sich die unterschiedlichsten Dinge. Vieles lässt die Flut im Spülsaum zurück: Plastikreste, Tang, Muscheln, Sedimente – je nachdem, was das Wasser mit sich trug. In den Böden an der Küste haben sich über Jahrhunderte ebenfalls Schichten abgelagert, deren Zusammensetzung von den Einflüssen der jeweiligen Zeitperiode bestimmt ist. Mit Hilfe dieser „historischen Flaschenpost“ rekonstruieren wir jetzt den Meeresspiegelanstieg an heimischen Küsten.
Die Methode haben wir am KlimaCampus neu für die Nordseeküste etabliert. Dazu nutzen wir bestimmte Kleinstlebewesen, die so genannten Foraminiferen. An der Nordsee sind die meisten Arten dieser Einzeller so groß wie ein Sandkorn. Sie haben ein Gehäuse aus Kalk oder Sedimentpartikeln, das in den Ablagerungen oft über Jahrtausende als Fossil erhalten bleibt.
Am Übergang zwischen Land und Meer können nur wenige hoch spezialisierte Arten überleben. Hier trotzt den Bedingungen nur, wer sich extrem an die Schwankungen angepasst hat: mal frisches, mal salziges Wasser, mal viel Feuchtigkeit, dann wieder Austrocknung. So finden sich in Salzwiesen und Watt nur ein Dutzend Arten Foraminiferen, jede aber mit einem speziellen „Lieblingsplatz“.
Wird eine Art zum Beispiel gern häufiger mit Salzwasser überspült, lebt sie bevorzugt nah am Meeresspiegel. Eine andere toleriert dies seltener, hat also ihren optimalen Lebensraum vielleicht von 60 bis 80 Zentimetern über dem Meeresspiegel – und so fort. Diese Zonen können wir für die wenigen Arten exakt bestimmen. So erhalten wir ein statistisches Profil in der Senkrechten: Kommt Art X häufig, Art Y öfter und Art Z nur vereinzelt vor, so kann eine Probe beispielsweise nur von etwa 40 Zentimeter über dem Meeresspiegel stammen.
Im zweiten Schritt ziehen wir Bohrkerne einige Meter tief aus dem Küstenvorland. Hier finden wir die Ablagerungen der vergangenen Jahrhunderte, fein übereinandergeschichtet. Millimeterweise tragen wir diese Lagen ab und können sie über die Analyse von radioaktiven Zerfallsprodukten sehr genau datieren. Anschließend untersuchen wir, welche Gemeinschaft von Foraminiferen wir hier finden und wie weit über dem Meeresspiegel die Probe demnach im entsprechenden Jahr gelegen hat. „Herausrechnen“ müssen wir nun noch Faktoren wie zum Beispiel Sturmflutereignisse und lokale Bewegungen der Erdkruste. Denn seit Verschwinden der Eismassen vor 18.000 Jahren hebt sich die Kruste bei Norwegen immer noch, während sie bei Holland absinkt.
Bis auf wenige Zentimeter genau können wir so den historischen Meeresspiegel bestimmen. Erste Ergebnisse zeigen, dass der Wasserstand an der Nordseeküste in 150 Jahren durchschnittlich um 25 Zentimeter gestiegen ist, lokal können es bis zu 40 Zentimeter sein. Dies stimmt gut mit historischen Pegelmessungen überein, ein Hinweis für die Zuverlässigkeit der Methode.
Prima, denn langfristig wollen wir Pegelstände bis zu 10.000 Jahre zurück bestimmen. Über diese Perioden gibt es keine historischen Aufzeichnungen. Doch für belastbare Aussagen, wie stark natürliche Schwankungen und wie hoch der vom Menschen gemachte Anteil am Klimawandel ist, sind solche lang zurückliegenden Daten besonders wichtig.