KlimawandelZögern erlaubt
20. November 2019, von Dr. Imke Hoppe
Foto: Pixabay/ Mira Cosic
Wir fordern von der Wissenschaft unanfechtbare Erkenntnisse. Und zwar subito. Aber so läuft das nicht.
Nicht erst Greta Thunberg hat die Berichterstattung zum Klimawandel verändert – schon der Sommer 2018 war ein atmosphärischer Wendepunkt. Sukzessive verdrängte der Klimawandel das Megathema Migration, das ab 2016 die öffentlichen Debatten beherrscht hatte. Nach Monaten der Hitze brachte im August eine Studie zu „Kipppunkten im Klimasystem“ den Stein ins Rollen. Die Pressemitteilung zur Studie verwendete den Begriff „Heißzeit“, der daraufhin Schlagzeilen machte und im Dezember zum „Wort des Jahres“ gekürt wurde. Das bekannte Schema der „Klimakatastrophe“ („Wort des Jahres“ 2007) erhielt neue Aktualität und wurde in den Medien mit dramatischen Schlagzeilen verkauft: „Klimaforscher: Erde könnte in eine tödliche Heißzeit geraten“.
Dieser publizistische Alarmismus begleitete das Thema seit Beginn – und hat dabei einigen kommunikativen Schaden angerichtet. So steht der Kölner Dom noch immer nicht unter Wasser, und es wird wohl auch künftig verregnete Sommer geben. Fast parallel zur „Heißzeit“ schloss sich deshalb eine wichtige selbstkritische Richtungsdebatte im Journalismus an: Welche Rolle wollen Journalistinnen und Journalisten im Diskurs um den Klimawandel eigentlich einnehmen? Welche Verantwortung trägt der Journalismus angesichts von wissenschaftlich unumstrittenen Tatsachen – aber eben auch von der Gefahr einer kontraproduktiven Hysterisierung? Einer der Kritikpunkte ist, dass die Berichterstattung ideologisch geworden sei und dabei Gefahr laufe, bestehende Unsicherheiten zu ignorieren („überhitzt“).
Wissenschaft braucht Zeit
Zündstoff bietet immer wieder die Frage, wie (und nicht ob) über Unsicherheiten in der Klimaforschung berichtet werden sollte. Im Alltagsverständnis vieler Menschen gibt es kein Fragezeichen. Tenor: Unsichere wissenschaftliche Ergebnisse sind „schlechte“ Ergebnisse und sollten eigentlich gar nicht in seriösen Medien erscheinen. Zu oft „bewiesen“ in der Vergangenheit (pseudo)wissenschaftliche Studien, dass beispielsweise Kaffee wahlweise gesund oder ungesund sei: Gleiches gilt für Kokosöl, Butter und Jogging. Eine quantitative Befragungsstudie, die gemeinsam mit Kolleginnen der TU Braunschweig entstanden ist, zeigt, dass nur rund 30 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass Befunde aus den Klimawissenschaften immer einen gewissen Unsicherheitsgrad haben. Der daran ablesbare, verständliche Wunsch nach glasklaren Ergebnissen widerspricht jedoch in weiten Teilen der Arbeitsweise empirischer Wissenschaften, insbesondere dann, wenn es darum geht, Modelle und Prognosen über die Zukunft zu entwickeln.
Tatsächlich gibt es ja die Klimaforschung nicht. Vielmehr forschen verschiedenste Disziplinen über Klima und Klimawandel. Meteorologie und Geowissenschaften sind mit Unterdisziplinen wie Geografie, Ozeanografie und Hydrologie umfangreich vertreten. Das Gleiche gilt für Mathematik, Physik, Chemie und Biologie – nicht zu vergessen die Informatik, die für Klimamodellrechnungen essenziell ist. Auch Geistes-, Sozial-, Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften erforschen Aspekte des Klimas. Dass sie dabei nicht nach einer einzigen Methode verfahren, scheint evident.
Viele der genannten Disziplinen sind empirisch arbeitende Wissenschaften, die durch Messungen und Beobachtungen (im weitesten Sinne) den Horizont des Wissens erweitern. Das führt sie oft auf unbekanntes Terrain. Vertraute Theorien werden revidiert und aktualisiert.
Was als Prozess des wissenschaftlichen Fortschritts allgemein leicht auf einen breiten Konsens stoßen dürfte, verlangt im konkreten Zusammenhang mit der Klimaforschung eine hohe Frustrationstoleranz von der Öffentlichkeit. Nehmen wir den sogenannten „Hiatus“: ein besonders heiß diskutiertes Beispiel, das zentrale Annahmen in den Klimamodellen in Frage stellte. „Hiatus“ meint eine scheinbare Pause im menschengemachten Klimawandel: Scheinbar stagnierte zwischen 1998 und 2013 die durchschnittliche Temperatur an der Erdoberfläche. Wie ließ sich das mit den bisherigen Modellen zum Klimawandel in Einklang bringen? Der öffentliche Druck, schnell Antworten zu liefern, war groß und führte dazu, dass in den Medien Erklärungen diskutiert wurden, die sich später als nicht oder nur teilweise zutreffend erwiesen. Etwas später wurde dann klar: Der menschengemachte Klimawandel macht keine Pause, die Ozeane hatten in diesem Zeitraum relativ viel Wärme aufgenommen, die Temperaturen steigen weiter.
Um hier zu einer gesicherten Erkenntnis zu kommen, brauchte die Wissenschaft Zeit. Zeit, die ihr der Journalismus und die mit ihm verschwisterte Öffentlichkeit nicht gerne geben. Ein Mentalitätswandel kann hier nur erzielt werden, wenn das Bewusstsein dafür geschärft wird, wie Wissenschaft nun einmal funktioniert. Wir müssen offen kommunizieren, an welchen Stellen Unsicherheiten bestehen. Derartige Unsicherheiten können den gesamten Arbeitsprozess betreffen: Wie präzise messen die Instrumente? Wie sicher kann ich sein, dass bei wiederholter Messung das exakt gleiche Ergebniss auftritt? Verändert das Instrument selbst den Untersuchungsgegenstand, also beispielsweise ein Thermometer die Wassertemperatur der Umgebung? Und wenn ja, wie stark ist der Effekt?
Das Ausweisen von Unsicherheiten sollte in der öffentlichen Wahrnehmung zum Zeichen für eine hohe wissenschaftliche Qualität werden, nicht zu einem von mangelnder Qualität. Empirische Einzelbefunde oder -studien mit „null Unsicherheit“ kann es nicht geben. Weil viele Einzelbefunde in der Zusammenschau bewertet werden müssen, ist das Konsens-Prinzip in der Klimaforschung zu einem Zentralgestirn geworden. Dieses Prinzip und die offene Kommunikation über Unsicherheiten werden noch wichtiger, wenn es um Klimamodelle oder Klimaszenarien geht. Klimamodelle sind vereinfachte Abbildungen dessen, was man über das Klima weiß – zum Beispiel grundlegende physikalische Prinzipien –, die auf riesigen Großrechnern laufen. Klimamodelle nähern sich bestmöglich dem Stand des Wissens an. Sie dienen der Forschung vor allem dazu, vermutete Zusammenhänge zu testen, vergleichbar mit einer virtuellen Laborumgebung.
Es ist komplex
Für Politik und Gesellschaft wichtig sind die Klimaszenarien: Hier werden die Klimamodelle benutzt, um zukünftige Entwicklungen zu berechnen, zumeist bis 2100. Es handelt sich um eine äußerst komplexe Form der Prognostik, die gerade nicht Prophetie sein will. Klimaszenarien oder -projektionen können nicht vorhersagen, wie unser aller Zukunft aussehen wird, weil das davon abhängt, welche Bedingungen tatsächlich auf der Erde herrschen werden, konkret zum Beispiel, wie hoch die CO₂Emissionen in 2025 faktisch sein werden.
Keine Frage: Auch „die“ Wissenschaft weiß seit langem, dass der von Menschen verursachte Klimawandel allergrößte Dringlichkeit hat. Schon 1988 gehörte es zur Gründungsmission des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, deutsch: Weltklimarat), zu klären, wie eng der Zusammenhang zwischen CO₂-Emissionen und Klimawandel ist. Dabei legte sie den Schwerpunkt auf das „Assessment“, auf das systematische Zusammentragen und Bewerten zahlreicher Einzelbefunde und Studien, sodass deutlich wird, was der jeweilige Konsens dazu ist. Seitdem hat die Unsicherheit zu den Kernfragen des Klimawandels stetig abgenommen. „Es ist äußerst wahrscheinlich“ – 95 bis 100 Prozent Sicherheit –, „dass der Einfluss des Menschen die Hauptursache der beobachteten Erwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts war“, erklärt der noch gültige Sachstandsbericht von 2013 unmissverständlich. In der englischen Fassung ist zudem ausdrücklich erklärt, wie diese prozentualen Angaben kalkuliert wurden: Grundlage ist die Arbeit der rund 5.000 am Bericht beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus rund 195 Ländern, deren Expertise in dem 2.000 Seiten starken Bericht zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels steckt.
Neue Studien und Ergebnisse werden aber nicht nur dann veröffentlicht, wenn sie durch einen hoch formalisierten, jahrelang andauernden und auf Konsens ausgerichteten Qualitätssicherungsprozess wie beim IPCC gelaufen sind. Welche Rolle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Forschungsorganisationen oder -institute im öffentlichen Diskurs darüber hinaus einnehmen wollen, können und sollen: Darüber denken wir nach. Im Zuge ihrer Arbeit am fünften Weltklimabericht plädieren der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, und sein Kollege Jan Minx beispielsweise dafür, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als „Mapmaker“ zu sehen, nicht als „Navigatoren“. Mapmaker kommen dem Bedarf der Politik entgegen und fertigen passende Landkarten an – also beispielsweise einen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel. Diese Zielbestimmung muss jedoch die Politik übernehmen.
Eine andere Rolle definiert die Initiative „Scientists for Future“ für sich; sie sieht Klimawissenschaftler deutlicher als Ratgebende. „Die Initiative kommuniziert die für die Zukunft unserer Gesellschaft besonders relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die noch nicht ausreichend in der Gesellschaft angekommen sind – auch dann, wenn sie nicht mehr neu sind“, schreibt deren Gründer Gregor Hagedorn.
Am Ende bleibt es für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine individuelle Entscheidung, ob und wie wir in der Öffentlichkeit agieren. Freilich sitzen auch wir in dem Boot, das wir beobachten. Es kann uns also nicht egal sein, wohin es steuert. Und wir sollten nicht schweigen, wenn ein Kurs eingeschlagen wird, der offensichtlich die Karten ignoriert.
Eins sollte der Öffentlichkeit klar werden: Will man Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft an die Wissenschaft delegieren, ob als Politiker, Journalist oder „Laie“, führt das zu mannigfaltigen Problemen. Die gefühlte Verantwortung von Menschen aus der Zivilgesellschaft, aus der Politik oder dem Journalismus kann nicht – zumindest nicht vollständig – an die Klimaforschung abgegeben werden. Denn die Annahme, dass die Gesellschaft sich „vernünftig“ auf den Klimawandel vorbereiten wird, wenn nur korrekt über die Ergebnisse der Klimawissenschaft berichtet wird, ist mehr als fragwürdig.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst erschienen in Der Freitag.