Diskussion: Dürfen im Klimajournalismus Sonderrechte gelten?
8. Oktober 2019, von Lisa König
Foto: unsplash - Priscilla Du Preez
Angesichts der Klimakrise sind viele Menschen ratlos oder verzweifelt und den Medien wird weltweit die wichtige Aufgabe zuteil, Aufklärungsarbeit zu leisten. Letzte Woche fand am CEN eine von „WPK- Die Wissenschaftsjournalisten“ und „Freischreiber“ organisierte Diskussion statt zu dem Thema: „Wo steht der unabhängige Journalismus, wenn es buchstäblich um die Zukunft der Welt geht?“.
Spätestens seit dem globalen Klimastreik in über 150 Ländern ist das Thema in den Medien hochpräsent. Kommunikationswissenschaftler Professor Michael Brüggemann vom CEN betonte, dass es schon 2007 kurzzeitig eine solche Welle der Berichterstattung gegeben habe. „Es gibt aber bisher keinen kontinuierlichen Fokus, sondern vielmehr einen Journalismus der Events.“ Jeden Tag sei in den Medien ein neues Thema interessant und deshalb könne die mediale Präsenz sehr schnell wieder abstürzen.
Das liege unter anderem daran, dass die Leserschaft selbst über Themen entscheide, erklärte Claus Hecking, Autor bei Spiegel online und Redakteur bei Capital. „Wenn Klimaartikel nicht häufig geklickt werden, verlieren sie ihren Platz oben auf der Startseite.“ Mit der Zeit erschöpfe sich das Interesse an Klimathemen. "Wir können nicht immer wieder das gleiche Thema bringen, wenn die Faktenlage bekannt ist. Irgendwann drehen wir uns damit im Kreis.“
Das Klickzahlen-System hat laut Brüggemann allerdings ein wichtiges Problem: „Gewertet werden vor allem die intuitiven Klicks, wenn uns auf den ersten Blick ein Thema interessant erscheint. Wie lange wir uns tatsächlich damit auseinandersetzen, ist eine andere Frage.“ Häufig geklickte Artikel würden automatisch auf der Startseite immer höher wandern und es entstehe ein sich selbst verstärkender Kreislauf.
Katharina Praefke von der Protestbewegung Extinction Rebellion ist der Meinung, dass es mehr Fairness in der Berichterstattung geben muss: „Der Journalismus kommt häufig auf eine Ebene, die nicht mehr nur faktenorientiert ist. Wenn über Extinction Rebellion berichtet wird, lese ich oft Kommentare zu Veganismus und Gendersternchen. Worum es uns eigentlich geht, geht dabei unter.“
Seit 30 Jahren informiert der Klimaforscher Prof. Mojib Latif über die Ursachen und Folgen der Erderwärmung. „Es wurde zwar schon viel berichtet und die Menschen können die Folgen zum Teil selbst sehen. Trotzdem hat es bisher nichts gebracht. Denn so hart es auch klingt: Solange die weltweiten Emissionen weiter steigen, gibt es keinen Klimaschutz.“
Eva Augsten, Technikjournalistin und Moderatorin des Abends, fragte nach, ob es vielleicht in der Berichterstattung Standardfragen zum Klima geben sollte. Ob bei jedem Thema auch außerhalb der Wissenschaft der Klimaaspekt eine Rolle spielen sollte, zum Beispiel bei der Vorstellung neuer Produkte. Für den Vorschlag gab es zwar viel Zustimmung, doch Claus Hecking zweifelt daran, dass dieses Prinzip umsetzbar ist. „Ich glaube nicht, dass es funktioniert, den Kollegen Fragen vorzuschreiben, denn jeder Journalist hält andere Themen für die wichtigsten. Dann könnten Journalisten, die über Migration berichten, theoretisch das gleiche fordern.“
Fazit des Abends: Die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten unterliegt weiterhin bestimmten Prinzipien wie Ausgewogenheit, Faktentreue und der Kommunikation von Unsicherheiten. Auch wenn es sich um Klimajournalismus handelt und wichtige gesellschaftliche Veränderungen de facto notwendig sind. Brüggemann: „Es beruhigt mich, dass solche Diskussionen stattfinden und es den Willen zur Änderung gibt, auch wenn keiner von uns das perfekte Rezept parat hat.“