Die CO₂-Steuer kann auch den "kleinen Leuten" helfen
18. Juni 2019, von Grischa Perino
Foto: UHH/CEN/T. Wasilewski
Die CO₂-Steuer geht nicht zwangsläufig zulasten der "kleinen Leute". Es gibt sehr sinnvolle Wege für einen sozialen Ausgleich beim Klimaschutz – wenn die Politik es wirklich will. Professor Grischa Perino sieht einen enormen Vorteil des neuen Instruments und erinnert an Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden.
Ist die CO₂-Steuer sozial ungerecht? Folgt man der deutschen Diskussion um das Für und Wider, scheint vor allem dieses Argument gegen deren Einführung zu sprechen: Sie belastet die "kleinen Leute". Tatsächlich muss eine CO₂-Steuer, wenn sie Wirkung zeigen soll, zahlreiche Güter und Dienstleistungen teurer machen. Nämlich genau die, die mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden sind. Dazu zählen Flugreisen, Autofahren mit Diesel und Benzin, Heizen mit Gas und Öl, Konsum von Fleisch- und Wurstwaren und viele andere Dinge, die wir als selbstverständlich (und selbstverständlich günstig) empfinden. Doch solche Gewohnheiten haben keinen Ewigkeitsanspruch.
Die genannten Bereiche zählen zu den größten Verursachern von klimaschädlichen Gasen. Deshalb sollten sie von einer CO₂-Steuer erfasst und damit teurer werden. Die Stromproduzenten und einige andere Industriesektoren bezahlen bereits über den EU-Emissionshandel einen Preis für Treibhausgasemissionen. Und ja, Sinn und Zweck einer CO₂-Steuer ist, dass sich Produktionsprozesse, Konsummuster und Verhaltensweisen ändern.
Die Preissteigerung träfe alle. Millionäre und Menschen mit geringem Einkommen. Ja, ein Millionär könnte es sich weiterhin leisten, mit dem Sportwagen oder SUV über Autobahnen zu brettern oder zum Brötchenholen zur nächsten Bäckerei zu fahren. Konsummöglichkeiten sind in unserer Gesellschaft ungleich verteilt. Das muss man nicht gut finden, aber eine CO₂-Steuer wird daran nicht grundlegend etwas ändern. Reiche werden weiterhin mehr konsumieren als Geringverdiener, das stimmt, hat aber im Kern nichts mit der neuen Steuer zu tun.
Die Einnahmen könnten genutzt werden, um Transferleistungen zu erhöhen oder Sozialversicherungsbeiträge zu senken
Richtig ist auch, dass die zusätzliche Belastung durch eine CO₂-Steuer für manche Menschen eine nicht zumutbare Härte bedeuten kann. Die soziale Schieflage könnte sich verschärfen. Das ist aber nur der Fall, wenn die Politik nicht gegensteuert. Das neue Instrument CO₂-Steuer hätte im Vergleich zu verschärften Grenzwerten, technischen Vorschriften oder Verboten einen enormen Vorteil: Es generiert Steuereinnahmen, zwangsläufig in höherem Umfang, als die "kleinen Leute" belastet werden, denn auch der Millionär zahlt ja - umso mehr, je mehr er seinen Sportwagen fährt.
Die Einnahmen aus der CO₂-Steuer sollten genutzt werden, um Transferleistungen wie Hartz IV und Grundrente zu erhöhen und gleichzeitig die Einkommensteuersätze oder Sozialversicherungsbeiträge für geringe Einkommen zu senken. Dadurch kann die Mehrbelastung, die durch die CO₂-Steuer entsteht, mehr als ausgeglichen werden. Gleichzeitig werden durch die Senkung der Lohn(neben)kosten Arbeitsplätze geschaffen.
Die Idee ist keineswegs neu und wurde im Rahmen der rot-grünen Ökosteuerreform auch in Deutschland schon vor gut 20 Jahren ausprobiert. Ein ebenfalls beliebter Vorschlag ist es, die Einnahmen aus der CO₂-Steuer direkt an die Bürger auszubezahlen. So ist die Verwendung der Einnahmen transparent - und der Einwand, die neue Steuer würde nur eingeführt, um Haushaltslöcher zu stopfen, wird entkräftet. Dafür gibt es jedoch entscheidende Nachteile im Vergleich zu einer Senkung der Lohnsteuer: Der positive Effekt auf den Arbeitsmarkt fällt weg, und die Geringverdienenden können nicht gezielt entlastet werden.
Wichtig ist, dass man sich der sozialen Folgen einer CO₂-Steuer bewusst ist. Die Maßnahmen für einen sozialen Ausgleich müssen offen diskutiert und im Paket gleichzeitig mit der Steuer eingeführt werden. Sozial ungerecht würde eine CO₂-Steuer nur, wenn das politisch so gewollt wäre. Es ist keineswegs eine Eigenschaft der Steuer, sondern eine Frage der Ausgestaltung. Macht man es richtig, fährt der Millionär vielleicht noch immer seinen Sportwagen, trägt damit aber zum sozialen Ausgleich in unserer Gesellschaft bei.
Ein Fehler darf jedoch nicht wieder passieren: Der Ausgleich sollte nicht dadurch geschaffen werden, dass bestimmte Güter, Personengruppen oder Unternehmen von der CO₂-Steuer ausgenommen werden oder nur einen geringeren Satz zu zahlen haben. Den Fehler machte die rot-grüne Bundesregierung im Rahmen der Ökosteuerreform, in diesem Fall für energieintensive Unternehmen. Sie schuf Ausnahmeregeln, die den Anreiz, Strom zu sparen, zunichtemachten. Die Ausgaben können sogar gesenkt werden, wenn weniger Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden.
Ohne eine beherzte Bepreisung von Treibhausgasemissionen ist der Klimawandel kaum wirksam aufzuhalten. Im Fokus der Debatte sollte deshalb stehen, wie ein ökologisch, wirtschaftlich und sozial sinnvolles Gesamtpaket geschnürt werden kann.
Kanzlerin Angela Merkel und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer favorisieren eine Ausweitung des EU-Emissionshandels auf weitere Sektoren. Das ist aus klimapolitischer Sicht eine sinnvolle Alternative zur CO₂-Steuer. Doch das Argument, damit die "kleinen Leute" zu schonen, ist falsch. Für die erwarteten Preissteigerungen bei Konsumgütern ist es egal, ob sie durch eine Steuer oder durch Emissionsrechte erzeugt werden. Es wird in beiden Fällen Teuerungen geben, nur ist die Ursache beim Emissionshandel für die "kleinen Leute" weniger offensichtlich. Es drängt sich der Verdacht auf: Der Emissionshandel-Vorschlag ist nur ein Versuch, der Diskussion um den sozialen Ausgleich aus dem Weg zu gehen.
Der Beitrag erschien als Gastkommentar in der Süddeutschen Zeitung (online am 13. Juni).