Pestizide: bessere Ernte oder Gefahr auf dem Acker?
11. Juli 2019, von Dr. Livia Rasche, CEN Universität Hamburg
Foto: unsplash.com/J.Marques
Was macht die Bäuerin in Europa, der Bauer in Afrika, wenn die Temperaturen steigen oder extreme Regenfälle häufiger werden? Für Landwirte weltweit ist der Klimawandel eine echte Herausforderung. Sollten sie umsteigen und in Zukunft andere Früchte anbauen? Oder besser in neue Techniken wie zum Beispiel Beregnung investieren?
Um geeignete Pflanzen und clevere Techniken zu identifizieren, entwickeln wir am CEN der Universität Hamburg spezielle Rechenmodelle. Mit ihrer Hilfe simulieren wir die kommenden Erträge für große Ackerflächen. So lässt sich abschätzen, wie sich die Kartoffelernte an einem bestimmten Ort bei höheren Temperaturen und mehr Regen entwickeln wird. Die Modelle helfen, den aktuell besten Mix von Bewässerung und Düngung zu ermitteln. Ich kann zudem neue Techniken testen, ohne sie aufwändig auf dem Acker installieren zu müssen.
Doch die Ergebnisse sind unvollständig, denn ein zentrales Werkzeug fehlte bislang: die Schädlingsbekämpfung mit Pestiziden. Während wir in Europa dabei eher an Giftrückstände auf Obst und Gemüse denken, sind Pestizide in anderen Ländern beinahe Luxusgüter. Kleinbauern in Afrika zum Beispiel erleiden hohe Einbußen durch Insekten und Pilzbefall. Ein Mittel kann das gezielt verhindern, ist aber oft zu teuer. Weltweit betragen die Verluste durch Schädlinge und Pilze bei Weizen, Mais, Kartoffeln und Soja rund 20 Prozent, bei Reis im Mittel 30 Prozent. Diese Lücke zu schließen kann helfen, Hunger zu bekämpfen.
Gleichzeitig richten Pestizide großen Schaden an. Dies zeigt eine ganze Serie von Todesfällen und Vergiftungen beim Baumwollanbau in Indien in den letzten 20 Jahren. Auch der kürzlich veröffentlichte IPBES-Bericht zum Artensterben sieht den Einsatz kritisch.
Welche Mengen bringen also einen um wieviel höheren Ertrag – und welchen Preis zahlen wir dafür in punkto Gesundheit und Naturschutz? Um dies herauszufinden, müssen Pestizide im Agrarmodell mit abgebildet sein. Doch der komplizierte Lebenszyklus der Schädlinge hat dies bisher verhindert. Es ist äußerst schwer, den Effekt einer Insektenart auf eine Pflanze in ein Rechenmodell einzubauen. Das liegt einerseits daran, dass sie nicht permanent Schaden anrichtet. Während ihre Eier noch harmlos sind, fressen Raupen und Larven meist kräftig. Ausgewachsene Tiere haben dann wieder weniger Appetit.
Außerdem greifen verschiedene Insekten jeweils unterschiedliche Teile der Pflanze an. Ein Knabbern an den Blättern kann glimpflich ablaufen. Wird aber der Stiel abgenagt, ist die Pflanze tot. So habe ich mich mit Hilfe eines Insektenkundlers tief in die Biologie von Maiszünsler und Kartoffelzikade eingearbeitet, um ihren Einfluss schließlich in mathematische Formeln fassen zu können.
Doch stimmt mein neues Modell? Dazu wertete ich wissenschaftliche Feldversuche mit Mais, Sojabohnen und Kartoffeln in den USA aus. Zwischen 1985 und 2014 wurden dort Feldfrüchte in unterschiedlichen Klimazonen angebaut. Alle Daten sind gut dokumentiert: Aussaat, Entwicklung, Düngung, Pestizideinsatz, Schädlingsdichte und Ertrag. Dies waren meine Kontrolldaten aus der realen Welt. Für 14 Äcker simulierte ich die Erträge. Ich fütterte mein Modell mit den Wetterdaten des jeweiligen Jahres und den dokumentierten Maßnahmen der Landwirte. Ein voller Erfolg: Die errechneten Erträge stimmen sehr gut mit den realen Ernten überein! Das neue Werkzeug kann also belastbare Prognosen zu Pestiziden und Erträgen machen.
Jetzt interessieren mich die tatsächlichen Kosten, die durch Pestizide entstehen. Die Folgen für Natur und Gesundheit sollten ebenfalls in der Bilanz auftauchen. Bisher kommen die Erträge nur den Produzenten zugute, die Folgekosten muss aber die Gesellschaft tragen. Mein Agrarmodell kann helfen, diese Kosten zu finden und zu beziffern.
Livia Rasche
Dr. Livia Rasche ist Umweltwissenschaftlerin und Expertin für nachhaltige Landwirtschaft.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie.