Der Atem der Tundra
10. Januar 2019, von Dr. Norman Rößger CEN Universität Hamburg
Foto: N. Rößger
Im nördlichen Sibirien sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits mit bloßem Auge zu erkennen. Bislang gefrorene Böden tauen auf, Häuser und Bahntrassen versinken im Schlamm, Küsten werden fortgespült. Weil in der Arktis die Temperaturen doppelt so stark gestiegen sind wie im globalen Durchschnitt, ist die Region stärker als andere Gebiete von der Erderwärmung betroffen. Gleichzeitig wird ihre Erwärmung voraussichtlich enorme Auswirkungen auf das Weltklima haben.
Problematisch ist dabei die große Menge Kohlenstoff, die in den Böden in Form von abgestorbenem, organischem Material gespeichert ist. Wird es wärmer, taut dieses Material auf und kann von im Boden lebenden Mikroorganismen zersetzt werden. Dabei stoßen die Kleinstlebewesen Kohlendioxid und Methan aus: Wie viel der klimaschädlichen Treibhausgase frei werden, können wir bisher nur schätzen.
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg versuche ich, die Vorgänge in den Böden der Tundra besser zu verstehen. Dafür habe ich mehrere Expeditionen nach Sibirien unternommen. Auf einer der 1500 Inseln des Lenadeltas, 650 Kilometer nördlich des Polarkreises, habe ich gemessen, wie viel Methan der Boden abgibt.
Solche Messdaten brauchen Forschende unter anderem, um Klimaprognosen mit Hilfe von Computermodellen zu erstellen. Doch bisher gibt es aus Sibirien nur wenige Daten; einfach, weil das Gebiet so riesig und gleichzeitig unzugänglich ist. Straßen und Orte fehlen, Forschungsstationen sind rar. Der daraus resultierende Mangel an Daten mindert die Genauigkeit der Klimaprognosen.
Um zusätzliche Daten zu gewinnen, habe ich meine Messungen in einem bisher nicht untersuchten Ökosystem vorgenommen: auf der Überflutungsebene der Insel Samoylov. Dafür habe ich den 2,5 Meter hohen Turm mit den Messgeräten errichtet, musste ihn aber vor dem Frühjahrshochwasser im Mai wieder demontieren. Erst nachdem das Schmelzwasser aus dem Einzugsgebiet der Lena, das siebenmal so groß wie Deutschland ist, in den Arktischen Ozean geflossen war, konnte ich ihn wieder aufbauen.
So lange der Turm in Betrieb war, haben die Messgeräte zwanzigmal pro Sekunde die Turbulenz sowie die Methankonzentration in der Luft gemessen. Aus diesen Werten habe ich die Methanabgabe des Bodens berechnet. Und nicht nur das: Ich konnte herausfiltern, welche Vegetationszone auf der Überflutungsebene wie viel Methan abgegeben hat. Denn mit Büschen bewachsene Zonen emittieren andere Mengen als Gebiete, auf denen vor allem Gräser oder Moose gedeihen.
Mithilfe der von mir verwendeten Methode können Forschende die Emissionen verschiedener Landschaftstypen zukünftig unterscheiden und zuverlässiger schätzen, wie viel Methan dort jeweils entsteht. Wird die für die Tundra typische Vielfalt der Landschaft hingegen nicht berücksichtigt, können die Methanemissionen stark unter- oder überschätzt werden – beispielsweise auf der Überflutungsebene von Samoylov um ca. 40 Prozent.
So kann meine Arbeit dazu beitragen, die Genauigkeit von Klimamodellen zu verbessern; an dem globalen Problem des Klimawandels ändert sie jedoch nichts. Für mich ist es ernüchternd zu sehen, in welchem Tempo sich die Arktis verändert und wie wenig in Deutschland auf politischer Ebene getan wird, um das Klima zu schützen. Noch können wir die Erderwärmung begrenzen – aber nur, wenn wir deutlich entschiedener handeln als bisher. Kommende Generationen werden es uns danken.
Dr. Norman Rößger hat am Institut für Bodenkunde an der Universität Hamburg promoviert und ist Mitglied im Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit.
Dieser Artikel ist zuerst als Gastbeitrag im Rahmen einer monatlichen Serie zur Klimaforschung im Hamburger Abendblatt erschienen. Hier finden Sie weitere Artikel der Serie.