Küstenfischerei und KlimawandelWie überlebt die Ostsee-Fischerei ohne Dorsch und Hering?
26. Oktober 2020, von Stephanie Janssen
Foto: UHH/CEN/T. Wasilewski
Dorsch und Hering geht es schlecht. Soeben hat die Europäische Union erneut die Fangquoten für die deutsche Ostseeküste angepasst. Viele Fischer müssen entsprechend weiter pausieren oder ihre Kutter verkaufen. Christian Möllmann ist Fischereiwissenschaftler am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Er plädiert dafür, die Biologie der Fischbestände zusammen mit den sozialen Folgen für die Gemeinschaft in den Blick zu nehmen.
Professor Möllmann, letzte Woche hat die EU die Fangquoten an der deutschen Ostseeküste neu festgelegt. Wo Ende der 1980er Jahre noch 100.000 Tonnen Hering im Jahr gefangen wurden, wird die erlaubte Gesamtmenge von aktuell 3000 noch einmal auf rund 1500 Tonnen reduziert. Was machen die Fischer dann?
Christian Möllmann: Viele sind total frustriert. Einige warten ab und bekommen für die Ruhezeiten ihrer Boote einen finanziellen Ausgleich. Andere geben die Fischerei auf und erhalten eine Abwrackprämie für ihren Kutter. Manche verkaufen ihre Fangquote an Hochseeflotten, die dann häufig mit Schleppnetzen den Meeresgrund umpflügen.
Sie koordinieren ein neues Forschungsprojekt, das in Kürze an fünf deutschen Instituten startet. Drei Jahre lang untersuchen Sie, wie sich die Küstenfischerei in der Westlichen Ostsee an den Klimawandel anpassen kann. Ist das nicht beinahe egal, wenn die Fische jetzt eh weg sind?
Ja, wenn es schlecht läuft, gibt es dort kaum noch Dorsch und Hering, wenn das Projekt beendet ist. Auch wenn die Fangquoten angepasst werden – mit dem Klimawandel kommen beide Arten nicht gut zurecht. Mit dem Projekt wollen wir aber verhindern, dass wir sehenden Auges ins Desaster steuern. Wir werden verschiedene langfristige Strategien zur Anpassung entwickeln, die dann von den jeweiligen Regionen gezielt ausgesucht und eingesetzt werden können. In der Fischerei wurde bisher kaum auf lange Sicht geplant.
Wie geht es den beiden kommerziell gefangenen Fischen Dorsch und Hering zurzeit? Im Gegensatz zum Hering darf im nächsten Jahr vom Dorsch fünf Prozent mehr gefangen werden.
Die Hering- und Dorschbestände sind kollabiert. Besonders um den Hering steht es dramatisch. Ich bin skeptisch, ob dieser sich in fünf Jahren erholt hat und die Fischerei wieder verstärkt losgehen kann. Doch die Fischer und ihre Boote gehören zur Kultur der Küstenstädte. Im Projekt werden wir die sozialen Aspekte wie Arbeitsplätze, Tourismus, Tradition mit einbeziehen.
Hinzu kommen die Veränderungen durch den Klimawandel. Das Wasser wird wärmer. Geht es den Fischen deshalb heute so schlecht?
Beide Arten sind bis vor etwa fünf Jahren noch massiv überfischt worden. Sonst wären die Bestände jetzt viel größer und gesünder – und damit widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel. Grundsätzlich gilt, je wärmer es wird, desto weniger Nachwuchs haben Dorsch und Hering. Das kommt zum Beispiel daher, dass die Heringslarven ihre Brutgebiete aufgrund des wärmeren Wassers schon rund zwei Wochen früher bevölkern. Dann steht dort aber ihre Lieblingsnahrung noch gar nicht ausreichend bereit.
Das Bundesforschungsministerium fördert Ihre Forschung mit mehr als 1,5 Millionen Euro. Wie genau werden Sie die Maßnahmen und Instrumente zur Klimawandel-Anpassung entwickeln?
Zunächst tragen wir Daten zusammen, wie anfällig die einzelnen Fischarten gegenüber der Klimaerwärmung sind. Daraus ermitteln wir, wie gefährdet die Fischgemeinschaft insgesamt ist. Anschließend entwickeln und verknüpfen wir Rechenmodelle für den Lebenszyklus von Dorsch und Hering sowie für die gesamte Nahrungskette.
Was leisten die gekoppelten Modelle?
Mit den Berechnungen überprüfen wir bestimmte Szenarien. Wie würden sich zum Beispiel Plattfische entwickeln, wenn es wärmer wird und die wenigen Dorsche ihnen kaum noch die Nahrung streitig machen? Was würde mit dem Bestand passieren, wenn nur noch kleine Boote mit Stellnetzen zugelassen werden? Daraus entwickeln wir unterschiedliche Szenarien, mit denen die Verantwortlichen die Zukunft einer Region langfristig planen können.
Welche Maßnahmen könnten dabei herauskommen? Sollten die Fischer auf andere Berufe umschulen oder sich auf neue Arten im Meer spezialisieren?
Wenn sich zum Beispiel zeigt, dass andere Arten insgesamt vom Klimawandel profitieren, könnten diese auch kommerziell interessant werden. Aber die Zusammenhänge sind wie immer komplex. Vor allem werden wir kontinuierlich mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten. Sie haben Informationen und Präferenzen, die wir hier gar nicht kennen können. So können sie später auch zu Multiplikatoren werden und unsere Erkenntnisse in die Städte und Gemeinden tragen.
Forschungsprojekt Fischerei
Name: balt_ADAPT (Adaptation of the Western Baltic Coastal Fishery to Climate Change)
Anpassung der Küstenfischerei in der Westlichen Ostsee an den Klimawandel
Laufzeit: 01.11.2020 – 31.10.2023
Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung
Finanzierung: 1.5 Mio Euro über drei Jahre
Koordination: Prof. Dr. Christian Möllmann, Universität Hamburg
CEN – Centrum für Erdsystemwissenschaften und Nachhaltigkeit
CLICCS – Exzellenzcluster für Klimaforschung
Projektpartner:
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv),
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU),
Thünen-Institut für Ostseefischerei Rostock (TI),
Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar)