Was bedeutet eigentlich Netto-Null?
26. Oktober 2020, von Felix Schenuit
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In der Klimapolitik hat sich seit 2015 viel verändert. Auf der Weltklimakonferenz in Paris wurde damals ein Durchbruch erzielt. Eine der Neuerungen sind die sogenannten Netto-Null-Ziele. Sie besagen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt, etwa 2050, ein Land rechnerisch überhaupt keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre ausstoßen dürfte. Doch wie kann das umgesetzt werden?
Wissenschaftliche Zukunftsszenarien zeigen uns, wie stark sich die Erde voraussichtlich erwärmen wird – immer abhängig davon, wie schnell die Menschheit ihren Ausstoß an Treibhausgasen reduziert. Wenn wir die Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius begrenzen wollen, besser noch auf 1,5 Grad, zeigen alle diese Szenarien deutlich: Egal wie rigoros wir Klimaschutz betreiben, immer muss zusätzlich Kohlendioxid, kurz CO2, aktiv aus der Luft entfernt werden.
Deutschland bei CO2-Entnahme zögerlich
Politisch wird darüber erst seit Kurzem offensiv gesprochen. Als Politikwissenschaftler interessiert mich, welche Diskussionen zur Entnahme von CO2 eigentlich geführt werden müssten und warum sie nicht geführt werden. Ich untersuche deshalb am Exzellenzcluster für Klimaforschung der Universität Hamburg, wie sich Klimapolitik in Deutschland und der EU entwickelt – und ob die politischen Weichen entsprechend gestellt werden.
Ideen und Methoden für die CO2-Entnahme gibt es einige. Sie reichen von klassischer Aufforstung bis zur technischen Abscheidung aus der Umgebungsluft. Viele Maßnahmen befinden sich aber noch im frühen Stadium der Entwicklung.
Jetzt strebt die Europäische Kommission mit ihrem „Green Deal“ Netto-Null bis 2050 an. Insbesondere Industrie, Landwirtschaft und Transport werden aber nicht gänzlich ohne Emissionen auskommen. Deshalb setzt die Kommission gleichzeitig auf die Entnahme von CO2, durch die alle restlichen Emissionen ausgeglichen werden müssen. Einzelne Länder wie England und Schweden haben dazu schon konkrete Pläne. Aus Deutschland war dagegen bisher wenig zu hören. Jetzt wurde für 2021 ein erstes Forschungsprojekt angekündigt.
Klimaziele künftig besser zweiteilen
Es liegt zum Teil an den Verfahren selbst, dass die deutsche Politik hier so zögerlich ist. Bei vielen Verfahren muss CO2 in unterirdischen Speichern gelagert werden – ein Thema, das in Deutschland sehr umstritten ist. Eher akzeptiert werden als „natürlich“ empfundene Methoden, wie Aufforstung oder eine Anreicherung von Ackerboden mit Kohlenstoff. Doch hier ist das Potenzial begrenzt und nicht garantiert, dass der Kohlenstoff dauerhaft gespeichert wird. Wenn also die Politik das Netto-Null-Ziel ernst nimmt, müssen jetzt möglichst viele Methoden intensiv erforscht, getestet und diskutiert werden.
Gleichzeitig besteht die Gefahr, zu stark auf zukünftige Entnahme-Techniken zu bauen und dabei das Einsparen von CO2 zu vernachlässigen. In einer Studie für die Stiftung Wissenschaft und Politik habe ich mit meinem Kollegen Oliver Geden deshalb eine Zweiteilung der Klimaziele vorgeschlagen: Eine zukünftige Klimapolitik könnte festschreiben, dass Netto-Null-Emissionen bis 2050 zum Beispiel durch mindestens 90 Prozent Reduzierung von CO2 und höchstens 10 Prozent Entnahme erreicht werden. Eine solch klare Trennung kann verhindern, dass sich Netto-Null-Ziele zum Feigenblatt für ausbleibenden Klimaschutz entwickeln.
Felix Schenuit
Felix Schenuit ist Politikwissenschaftler im Exzellenzcluster CLICCS und untersucht die Klimapolitik der Europäischen Union.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie.