Klimapolitik ist auch Friedenspolitik
16. Juni 2020, von Stephanie Janssen
Foto: sunyu - unsplash
Heute erscheint das Friedensgutachten 2020 und lenkt den Blick auf die Folgen des Klimawandels. Professorin Ursula Schröder vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) und Professor Jürgen Scheffran vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg haben daran mitgearbeitet und zeigen, warum mehr Klimaschutz die Welt sicherer macht.
Was ist eigentlich ein Friedensgutachten und wer erstellt es?
Ursula Schröder: Das Friedensgutachten erscheint jährlich seit 1987. Es ist ein gemeinsames Gutachten von vier deutschen Friedensforschungsinstituten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten untersuchen darin internationale Konflikte und Entwicklungen zu Fragen der Sicherheit aus Sicht der Friedenspolitik. Wir geben auch klare Empfehlungen für die Politik.
Sie haben das Kapitel zu Klima und Konflikten mit verfasst. Wurde das Thema zum ersten Mal so prominent im Gutachten aufgegriffen?
Ursula Schröder: Migration und Klimawandel wurden bereits in früheren Gutachten thematisiert. Doch in diesem Jahr ist „Friedenspolitik in Zeiten des Klimawandels“ ein Schwerpunkt des gesamten Gutachtens, das ist das erste Mal. Die Folgen des Klimawandels für die Gesellschaften sind heute besonders präsent, deshalb haben wir ihren Einfluss auf die Sicherheit und auf ein friedliches Zusammenleben ausführlich behandelt.
Während in den Medien vor Millionen von flüchtenden Menschen aufgrund von Klimaveränderungen gewarnt wird, wehrt sich die Wissenschaft gegen solche Pauschalisierungen. Wer hat Recht?
Jürgen Scheffran: Es gibt in der Wissenschaft Differenzen über die Zahl von Menschen, die durch Klimawandel vertrieben werden, von dutzenden bis zu hunderten von Millionen. Dies lässt sich heute nur grob schätzen und hängt von vielen Faktoren ab: Wie viele Menschen werden weltweit betroffen sein, welche Anpassungs- und Schutzmaßnahmen gibt es für sie, wie schwierig oder wie gefährlich wäre es auszuwandern – und welche Politik verfolgen die Herkunftsländer und welche die Zielländer?
Wenn Menschen allerdings stets nur von der größtmöglichen Bedrohung durch Migration ausgehen, werden Ängste erzeugt und Abwehrreaktionen hervorgerufen. Diese stehen dann oft einer Lösung im Wege, zum Beispiel durch eine vorbeugende Klima- und Migrationspolitik.
Im Gutachten steht, dass der Zusammenhang zwischen Klimawandel und bewaffneten Konflikten weder zwingend gegeben noch statistisch leicht nachzuweisen ist. Warum sind Sie trotzdem sicher, dass mehr Klimaschutz die Welt sicherer machen würde?
Ursula Schröder: Die Risiken des Klimawandels für Frieden und Sicherheit sind komplex und schwer einzuschätzen. Viele Studien zeigen aber deutlich, dass der Klimawandel zu Armut, Hunger und Krankheit beiträgt und sich damit negativ auf menschliche Sicherheit auswirkt. Wir fordern daher eine nachhaltige Klimapolitik, die auch die menschliche und ökologische Sicherheit ins Zentrum rückt. Doch dass der Klimawandel notwendigerweise zu mehr Gewalt und Krieg führt, ist stark vereinfacht und so nicht haltbar.
Kooperation ist auch Voraussetzung für eine Begrenzung des Klimawandels, während Konflikte das Ausmaß der Klimakrise verschärfen können. Wie lässt sich gegensteuern?
Jürgen Scheffran: Ohne Kooperation hätte die Menschheit es in der Geschichte nicht so weit gebracht. Doch angesichts der Klimakrise ist eine globale Zusammenarbeit nötiger denn je. Es zeigen sich Fortschritte, zum Beispiel in entsprechenden Vereinbarungen: von regionalen Wasserabkommen bis hin zum Pariser Klimavertrag, aber auch in lokalen Initiativen für eine Energie-, Agrar- oder Verkehrswende. Allerdings erfolgt der Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung nicht so schnell wie nötig. Widerstreitende Interessen und Konflikte, etwa zwischen Bauern und Nomaden in Afrika oder zwischen den Großmächten in der Arktis behindern die Kooperation. Klimapolitik und Friedenspolitik bedingen sich daher gegenseitig.
Sie geben auch Empfehlungen zum Geoengineering, das sind Eingriffe in die Umwelt durch den Menschen, um die Erderwärmung zu begrenzen. Welche sind das?
Ursula Schröder: Wir fordern rasche und drastische Verminderungen von Emissionen, denn eine Vermeidung des Klimawandels ist gleichzeitig vorbeugende Friedenspolitik und hat bei uns höchste Priorität. Technischen Lösungen in großem Stil stehen wir dann kritisch gegenüber, wenn sie nicht versuchen, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren, sondern nur deren Effekte technisch begrenzen möchten.
Die deutsche Bundesregierung sollte aufgrund der immensen Risiken auf Forschung zur Manipulation der Sonneneinstrahlung verzichten und sich international für ein Moratorium einsetzen. Andere Verfahren des Geoengineerings sollten nach zwei Kriterien bewertet werden – dem Vorsorgeprinzip und der Schadensvermeidung im Sinne von “do-no-harm”.
Kann der Klimawandel auch positive Auswirkungen wie zum Beispiel weniger gewalttätige Konflikte mit sich bringen?
Jürgen Scheffran: Wie die Coronakrise zeigt, können große Herausforderungen enorme Energien freisetzen, um Probleme zu bewältigen. Dies gilt auch für den Klimawandel, der langfristig noch größere Risiken birgt und eine Mobilisierung gesellschaftlicher Kräfte erfordert, die an einem Strang ziehen. Statt zu warten, bis das Kind in den Klimabrunnen gefallen ist und dann ungeahnte Mittel ins Katastrophenmanagement zu stecken, sollten wir frühzeitig an der Transformation in eine kohlenstoffarme Gesellschaft arbeiten. Dazu braucht es eine nachhaltige Friedenssicherung, die auf Gewaltvermeidung, Abrüstung und Demilitarisierung setzt.
Das Friedensgutachten
https://friedensgutachten.de/