Wo Europa seine Artenvielfalt besser schützen kann
2. März 2020, von Julika Doerffer
Foto: Vmenkov-creativecommons.org
Im Oktober sollen auf der UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt neue Ziele zum Schutz der Biodiversität verabschiedet werden. Denn obwohl einige Ziele schon erreicht wurden, geht das Artensterben weiter. International fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deshalb, 50 Prozent, mindestens aber 30 Prozent der Landflächen, unter Schutz zu stellen. Auch das Europäische Parlament stellt diese Forderung. CEN Forscherin Anke Müller hat untersucht, inwieweit Europa auf ein Vergrößern seiner Schutzzonen vorbereitet ist.
Die Ökologin hat erstmals geprüft, ob auch genügend verschiedenartige Flächen, sogenannte Ökoregionen, geschützt werden. In einer Studie zeigt Anke Müller nun gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, inwiefern das Schutzgebietsnetzwerk der EU-Mitgliedsstaaten ein 30-Prozent- oder 50-Prozent-Schutzziel für alle 41 Ökoregionen erfüllt. Fazit: Das 30-Prozent-Ziel ist schon fast erreicht, nur noch circa sechs Prozent der EU-Landfläche müssten zusätzlich unter Schutz gestellt werden. Für das 50-Prozent-Ziel müsste dagegen ein zusätzliches Viertel der Fläche geschützt werden.
Für Ökoregionen, in denen bisher weniger als 30 Prozent der Fläche geschützt werden, untersuchte Anke Müller, ob es genug naturnahe Flächen innerhalb der Regionen gibt, die man zusätzlich unter Schutz stellen könnte. Für das 30-Prozent-Ziel reicht die naturnahe Fläche in drei Ökoregionen nicht aus, für das 50-Prozent-Ziel in 15 Ökoregionen nicht. Der Großteil an den zusätzlich erforderlichen Flächen könnte vor allem durch das Unterschutzstellen von Wäldern abgedeckt werden. Zusätzlich müsste man vielerorts zuerst intensiv genutzte Forst- oder Agrarflächen renaturieren. So sind zum Beispiel in der norditalienischen Ökoregion „Po-Ebene mit Mischwäldern“ erst knapp acht Prozent der Fläche geschützt. Hier stehen jedoch nicht mehr genügend naturnahe Flächen zur Verfügung, um das 30-Prozent-Ziel zu erreichen. Dafür müsste man zuerst Flächen renaturieren. Anders sieht es in der Skandinavischen und Russischen Taiga oder den Kantabrischen Mischwäldern aus. Dort ist noch genug naturnahe Fläche vorhanden, um beide Ziele zu erreichen.
Mit einem eigens entwickelten Softwaretool hat Anke Müller berechnet, wo die EU ihr Schutzgebietsnetzwerk erweitern müsste, um bestehende Lücken der Ökoregionen zu schließen. In einem weiteren Schritt hat sie analysiert, wo diese Ausweitungen besonders kostengünstig wären. Für die Berechnung hat die Expertin die Bodenpreise zugrunde gelegt. Aus ihnen lässt sich ableiten, wie ertragreich Flächen sind und wie groß dementsprechend die wirtschaftlichen Einbußen der Landwirte wären, würden die Flächen unter Schutz gestellt. Politische Entscheidungsträger könnten bei der Umsetzung der neuen Ziele beispielsweise mit solchen Flächen beginnen.
Die Studie wird in Kürze in dem Journal Conservation Biology zur Verfügung stehen. Jetzt ist sie bereits als pre-published manuscript online zu finden.
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Landschaftsplanerin Anke Müller ist Mitglied im Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) und promoviert an der Forschungsstelle Nachhaltige Umweltentwicklung der Universität Hamburg.
Was ist eine Ökoregion?
Auch wenn Flächenziele rechnerisch erreicht werden (wie zum Beispiel 30 Prozent eines Landes unter Schutz zu stellen), erreichen die einzelnen Schutzgebiete oft nicht die notwendige Größe, um einen adäquaten Schutz der dortigen Biodiversität zu gewährleisten. Warum? Ausschlaggebend ist, welche Flächen geschützt werden. Um die Biodiversität auf unserem Planeten zu erhalten, muss möglichst von allen Ökosystemen ein Teil geschützt werden. Das geht von der Arktis über die Tundra bis in die Karibik. Dazu lässt sich die weltweite Landfläche in 825 unterschiedliche Ökoregionen einteilen, im Meer sind es rund 260, die jeweils völlig unterschiedlich auf die Länder verteilt sind.
Was sagt die EU-Politik
Das Europäische Parlament fordert im Vorfeld zur UN Biodivesity Conference im Oktober 2020, die bestehenden Schutzgebiete der europäischen Mitgliedsstaaten bis 2030 auf insgesamt 30 Prozent der Fläche zu erweitern. In der Resolution wird die EU außerdem dazu aufgefordert, sich bei den Verhandlungen für ein weltweites 50-Prozent-Ziel bis 2050 einzusetzen.
"European Parliament resolution”, 16. Januar 2020, on the Conference of Parties (COP15) to the Convention on Biological Diversity:
10. [...] propose an ambitious and inclusive Biodiversity Strategy for 2030 that sets legally binding targets for the EU and its Member States, including specific targets to reach at least 30 % of protected terrestrial and marine areas and to restore at least 30 % of degraded ecosystems at Union level by 2030;
28. [...] calls for the EU to push for an increased level of ambition during the negotiations and potentially call for protecting half of the planet by 2050; [...]