Klimavorhersagen: Weniger kann mehr sein
12. Februar 2020, von Dr. Sebastian Brune
Foto: UniHH/CEN/T.Wasilewski
Wie wird das Klima in zwei Jahren sein – oder in zehn? Solche mittelfristigen Vorhersagen haben bisher keine hohe Trefferquote, sind aber für Politik, Landwirtschaft und Energiewirtschaft, aber auch für Versicherer äußerst relevant. Ein neuer Ansatz zeigt jetzt: Manchmal sollte man weniger genau hinschauen, um bessere Prognosen zu erzielen.
Mittelfristige Klimavorhersagen werden auch dekadische Vorhersagen genannt und haben eine Besonderheit. Sie brauchen genau wie die langfristigen Jahrhundert-Vorhersagen, ein Erdsystemmodell und eine gute Abschätzung davon, wie sich zum Beispiel die Stärke der Sonne und die Zusammensetzung der Atmosphäre zukünftig entwickeln werden. Doch zusätzlich hängt ihre Qualität noch stark von den „Startdaten“ ab. Zum Startzeitpunkt der Vorhersage müssen dafür die realen klimatischen Bedingungen auf der Erde möglichst gut abgeschätzt werden und diese Daten sinnvoll in das Erdsystemmodell übertragen werden. Da dieser Prozess äußerst knifflig ist, waren dekadische Vorhersagen bisher nur leicht besser als einfach zu raten.
Mehr Freiheit fürs Modell erzeugt bessere Vorhersagen
„Weniger könnte mehr sein – mit diesem neuen Ansatz haben wir jetzt einen großen Fortschritt erzielt“, sagt Sebastian Brune, Autor der neuen Studie und Klimaforscher am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg. „Wenn wir dem Klimamodell mehr Freiheit geben, beim Start vom tatsächlich beobachteten Klima abzuweichen, erzielen wir deutlich bessere Vorsagen.“
Bislang galt, je besser das Modell zum Start der Vorhersage mit dem real beobachteten Klima übereinstimmt, desto genauer müssten auch die Prognosen werden. Doch diese Daten dafür sind nicht immer einfach zu bekommen. Obwohl die kontinuierliche Vermessung von Atmosphäre und Ozean weltweit in den letzten 20 Jahren große Fortschritte gemacht hat, weist besonders der Ozean noch Lücken auf. Hinzu kommt, dass zwischen einzelnen Datensätzen durchaus Widersprüche auftreten können.
Tatsächlich bildet jedes Erdsystemmodell nur Grundzüge des realen Erdsystems ab. Ebenso können die gemessenen Beobachtungsdaten niemals alle Aspekte des Erdsystems widerspiegeln. Deshalb können die Daten nicht einfach eins zu eins auf ein Erdsystemmodell übertragen werden. Stattdessen müssen sie an das vereinfachte Modell angepasst werden. Für diesen komplexen Prozess der Assimilation gibt es unterschiedliche Verfahren. Sie lassen dem Modell dabei teils mehr, teils weniger Freiheiten, von dem beobachteten realen Erdsystem abzuweichen.
Messdaten sind nicht alles
Um die Treffsicherheit der Prognosen zu erhöhen, verglichen Sebastian Brune und seine Kollegin Johanna Baehr verschiedene Methoden der Assimilation. Wie beeinflussen sie die Qualität der dekadischen Vorhersagen? Das Team wich dabei vom gängigen Ansatz ab und testete auch Konstellationen, in denen das Erdsystemmodell zum Start der Vorhersagen stärker von den real gemessenen Klimadaten zum selben Zeitpunkt abweichen durfte.
Und tatsächlich, für die Region um den Nordatlantik erzielte das Team die beste Vorhersagequalität, wenn es dem Erdsystemmodell mehr Freiheiten bei der Aufnahme der Startdaten gab. Dabei trugen Beobachtungsdaten aus der Atmosphäre wie auch aus dem Ozean dazu bei, die Prognosen zu verbessern. „Wir erlaubten dem Ozean, mehr Informationen aus der Atmosphäre aufzunehmen, ohne jedoch die Beobachtungen aus dem Ozean zu vernachlässigen“, erklärt Klimaforscher Brune.
Gewährte das Forscherteam dem Modell jedoch allzu viel Freiheit, dann sank die Qualität der mehrjährigen Vorhersagen wieder. Für spezifische Fragestellungen muss also jeweils die passende Gewichtung gefunden werden. „Es lohnt sich, danach zu suchen“, sagt Brune. „Mit einem gesunden Mix aus beobachteten und modellierten Daten lassen sich mehrjährige Klimavorhersagen substanziell verbessern.“
Der Artikel ist zuerst bei Advanced Science News erschienen.
Publikation
Brune S, Baehr J (2020): Preserving the coupled atmosphere–ocean feedback in initializations of decadal climate predictions, WIREs Climate Change, online