Meeresspiegel-Anstieg definiert Klimaziele
9. Januar 2020, von Stephanie Janssen
Foto: J. Zapata/unsplash
Eine gravierende Folge der Erderwärmung ist der Anstieg des Meeresspiegels. Eine Studie des Exzellenzclusters für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg zeigt jetzt: Hält man den Anstieg des Meeresspiegels für die entscheidende Folge des Klimawandels, ist es sinnvoller und gleichzeitig kostengünstiger, dem Anstieg des Meeresspiegels eine dem Zwei-Grad-Ziel entsprechende Obergrenze zu geben, anstatt den Temperaturanstieg direkt zu begrenzen.
Bisher orientieren sich Ziele zum Klimaschutz stets an der weltweiten Durchschnittstemperatur, wie im Klimaabkommen von Paris: Die mittlere Erwärmung soll auf zwei Grad oder besser noch 1,5 Grad Celsius begrenzt werden. Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Meteorologie und der Universität Hamburg definiert nun diese Grenzen der Temperaturerhöhung als Meeresspiegel-Ziele neu. Durch diese exemplarische Arbeit soll ein Diskurs angeregt werden, ob und wie Klimaziele angepasst werden sollten, sobald mehr Wissen über die Folgen des Klimawandels vorhanden ist. Die Arbeit ist jetzt im Fachjournal Science Advances erschienen.
Eine Temperaturerhöhung trägt dreifach zum Anstieg des Meeresspiegels bei: durch das Abschmelzen von Gebirgsgletschern, von Eisschilden und durch Ausdehnung des Meerwassers durch die zusätzliche Wärme. Doch die Prozesse dauern und der gewaltige Ozean reagiert träge. Auch bei sofortigem Stopp aller Treibhausgas-Emissionen würde der Meeresspiegel deshalb noch Jahrhunderte weiter steigen. Das Risiko für Küstenzonen und kleine Inseln nimmt weiter zu.
Der neue Pfad verlangsamt den Meeresspiegelanstieg auch nach 2200 stärker
Entscheidend für den Anstieg des Meeresspiegels ist deshalb auch, zu welchem Zeitpunkt weltweit wieviel Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen wird. Hier sind verschiedene Varianten denkbar, die Emissionspfade genannt werden. So könnten theoretisch die Emissionen zunächst weltweit hoch sein und anschließend drastisch reduziert werden – oder zuerst stark gedrosselt werden und dann auf mittlerem Niveau weiterlaufen. Der Temperaturanstieg im Jahr 2200 wäre derselbe. Welcher der Emissionspfade aber gewählt wird, macht sehr wohl einen Unterschied dafür, wie sich der Meeresspiegel langfristig verändert. Allgemein gilt, je früher die Emissionen auf null sinken, desto eher verlangsamt sich auch sein Anstieg.
Für ihre Berechnungen nahmen die Forscher das Zwei-Grad-Ziel als Ausgangspunkt. Hierbei wird bis zum Jahr 2200 ein Anstieg des Meeresspiegels von weltweit rund 0,89 Metern erwartet. Dieser Wert wird nun entsprechend als neue Obergrenze für den Meeresspiegel-Anstieg, das heißt als Meeresspiegel-Ziel, gesetzt. Mit Hilfe von Rechenmodellen ermittelte das Team, auf welchem Emissionspfad dieses Ziel erreicht werden kann.
Mehr Zeit für Anpassung und Innovationen
Das Ergebnis liefert einen Pfad, der im Gegensatz zum Temperaturziel zunächst höhere Emissionen erlaubt, aber etwa ab dem Jahr 2100 eine Drosselung auf null Emissionen verlangt. Im Jahr 2200 erreicht er die gleiche globale Temperatur und (zufällig) dieselbe Gesamtsumme an emittiertem CO2. „Der neue Pfad ist deutlich nachhaltiger, da er auch noch nach 2200 den Anstieg des Meeresspiegels stärker abbremst“, sagt Chao Li, Hauptautor der Studie.
Mit Hilfe eines ökonomischen Modells können die Forscher zeigen, dass ein Meeresspiegel-Ziel, das aus einem Temperatur-Ziel abgeleitet wird, gleichzeitig kostengünstiger wäre. Verschiedene Emissionspfade erfordern jeweils eine unterschiedliche Klimapolitik, deren Maßnahmen zum Klimaschutz wiederum unterschiedlich teuer sind. „Es macht auch finanziell einen Unterschied, zu welchem Zeitpunkt wie viel CO2 reduziert wird“, sagt Hermann Held von der Universität Hamburg, Co-Autor der Studie. „Sich am Meeresspiegel zu orientieren gäbe der Gesellschaft mehr Zeit für Innovationen und technische Anpassungen. Das ist sinnvoll, wenn der Meeresspiegelanstieg als das drängendste Problem der Erderwärmung betrachtet wird. Universell einsetzbar ist hingegen die Idee des Konzepts, sich bei Klimazielen möglichst nahe an den Folgen zu orientieren, sobald dieses Wissen vorhanden ist.“
Ein möglicher Temperatur-Overshoot wird durch die physikalischen Bedingungen des Ozeans definiert
Auf welchem Pfad sich die Emissionen bis 2200 entwickeln, also wann wie viel emittiert wird, hat direkt Einfluss auf die Temperatur. So führen die anfangs noch hohen Emissionen des Meeresspiegel-Pfads dazu, dass die Temperatur zeitweilig um etwas mehr als zwei Grad ansteigt – ein so genannter Overshoot von 0,3 Grad Celsius – und anschließend wieder absinkt. „Die kurzzeitige Überschreitung des Zwei-Grad-Ziels, und die anschließende Abkühlung errechnen sich aus den physikalischen Reaktionen des Ozeans“, sagt Autor Chao Li. „Dies ist ein weiterer Vorteil des Meeresspiegel-Ziels.“ Beim Temperaturziel ist ein Overshoot im Pariser Abkommen nicht vorgesehen, wird aber derzeit als Option in der Wissenschaft diskutiert, wobei er bislang einer gewissen Willkür unterliegt. Im hier vorgestellten Konzept wird er durch den zulässigen Meeresspiegelanstieg definiert und damit begrenzt.
Das Team betont, dass es sich zunächst um grundsätzliche Berechnungen handele, für eine Anwendung seien weitere Arbeiten nötig. Die Ergebnisse belegten aber eindrucksvoll, dass lebensnähere Klimaziele zugleich mehr Sicherheit und mehr Spielräume eröffnen können.
Fachpublikation: Li C, Held H, Hokamp S, Marotzke J (2019): Optimal temperature overshoot profile found by limiting global sea-level rise as a lower-cost climate target; Science Advances LINK
Kontakt:
Dr. Chao Li
CLICCS – Exzellenzcluster für Klimaforschung
Max-Planck-Institut für Meteorologie
Bundesstr. 53, 20146 Hamburg
chao.li"AT"mpimet.mpg.de
Tel.: +49 40 41173 458
Prof. Dr. Hermann Held
CLICCS – Exzellenzcluster für Klimaforschung
CEN – Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit
Universität Hamburg
hermann.held"AT"uni-hamburg.de
Tel.: +49 40 42838 7007
Stephanie Janssen
Öffentlichkeitsarbeit / Outreach
CLICCS – Exzellenzcluster für Klimaforschung
CEN – Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit
Universität Hamburg
stephanie.janssen"AT"uni-hamburg.de
Tel.: +49 40 42838 7596