Je digitaler, desto klimafreundlicher?
9. November 2021, von Ute Kreis
Foto: Pixabay/Altmann
Smarte, effiziente Logistik, Video-Konferenzen statt Flugreisen, E-Reader statt dicker Bücher – können digitale Prozesse helfen, Ressourcen zu sparen und Emissionen zu vermeiden? Was ist dabei zu beachten? Dr. Jasmin S. A. Link hat mit Kollegen ein Buch dazu herausgegeben. Ihr Fazit: Was auf den ersten Blick Ressourcen spart, schafft oft neue Abhängigkeiten.
Frau Link, wie gut ist Digitalisierung für das Klima?
Alles was unnötige Wege und Ressourcen spart, ist gut, könnte man meinen. Das ist im Prinzip auch richtig, nur übersieht man dabei häufig, dass IT und insbesondere sogenannte künstliche Intelligenz regelrechte Energiefresser sind.
Wie das?
Ein Beispiel: Um Systeme mit künstlicher Intelligenz zu „trainieren“, müssen riesige Datenmengen bewegt werden, häufig ohne im Vorfeld zu wissen, ob überhaupt etwas Sinnvolles dabei herauskommt. Der Rechenaufwand ist enorm – und der Stromverbrauch auch. Wird dieser nicht aus Erneuerbaren Energien gewonnen, werden bei der Produktion entsprechend große Mengen CO2 freigesetzt.
Ihr kritischer Blick gilt darüber hinaus den sogenannten Pfadabhängigkeiten. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Hier geht es um soziale Abhängigkeiten. Dass wir durch die neuen Technologien geprägt werden, bis wir möglicherweise nicht mehr auf sie verzichten wollen – oder können. Es gibt Studien, die zeigen, dass wir Menschen beispielsweise durch die regelmäßige Nutzung von Navigationssystemen allmählich unsere eigenständige räumliche Orientierung verlieren. Verstärkt durch ökonomische Interessen werden digitale Prozesse geschaffen für Tätigkeiten, die wir bisher autonom und ohne Strom erledigt haben. Gleichzeitig reduzieren sich unsere Möglichkeiten: Wenn alles über das Smartphone erledigt werden kann, werden Alternativen, die vielleicht sinnvoll wären, gar nicht erst entwickelt.
Das ist jetzt aber keine generelle Zivilisationskritik, oder?
Nein, eher nicht. Es lohnt aber darüber nachzudenken, welche Erwartungen wir mit den neuen Technologien verbinden und welche Rahmenbedingungen wir dem Prozess geben wollen. Für die Klimaforschung ist die Digitalisierung von meteorologischen Daten zum Beispiel sinnvoll und wichtig. Ebenso wird in der Medizin mit Hilfe künstlicher Intelligenz nach neuen Medikamenten und Heilmethoden gesucht.
Digitalisierung kann jedoch auch Probleme verursachen, beispielsweise wenn die sozialen Medien zur Sucht werden oder demokratische Entscheidungen durch Fake News infrage gestellt werden. Im Buch widmen wir uns deshalb auch Bildungsfragen oder ethischen Fragen und liefern Grundlagenwissen, das verschiedene Perspektiven berücksichtigt.
Es geht also um die gesellschaftliche Diskussion und um Regeln für die Digitalisierung?
Richtig. Aktuell werden besonders auf europäischer Ebene wichtige Standards gesetzt. Normalerweise sind solche Prozesse ziemlich basisdemokratisch organisiert und dauern Jahre. Nicht so bei der Digitalisierung, wo Konzerne rasch Tatsachen schaffen und viele große IT-Unternehmen zentrale Positionen im Prozess besetzen. Doch nur wer jetzt mitdiskutiert, kann seine Ideen einbringen und die Weichen für die Zukunft stellen.
Die Diplom-Mathematikerin und promovierte Soziologin Jasmin S. A. Link ist assoziiertes Mitglied im CEN und Mitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW). Sie arbeitet eng mit der Forschungsgruppe „Climate Change and Security“ der Universität Hamburg zusammen.
„Wie wir leben wollen“ - Kompendium zu Technikfolgen von Digitalisierung, Vernetzung und Künstlicher Intelligenz
Das Buch als pdf (kostenloser Download, Open Access)