Dorsch in der westlichen Ostsee hat Kipppunkt überschritten
17. August 2021, von Stephanie Janssen, Fintan Burke
Foto: UHH/CEN/P. Hornetz
Der Dorschbestand der westlichen Ostsee ist zusammengebrochen. Eine neue Studie unter der Leitung von Christian Möllmann vom CEN der Universität Hamburg hat gezeigt, dass der „Kipppunkt" für diese Population bereits überschritten wurde. Wird solch ein Kipppunkt erreicht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein befischter Bestand sich schnell erholt. Beim Dorsch, in anderen Seegebieten Kabeljau genannt, haben sowohl der Klimawandel als auch Überfischung jetzt dazu geführt. Die Studie wurde im Fachblatt Scientific Reports veröffentlicht.
Aufgrund von hohen Fangquoten und bisher nicht beachteten Umweltfaktoren ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich der Bestand des Dorsches an der deutschen Ostseeküste in näherer Zukunft erholen wird. Für die jetzt veröffentlichte Studie analysierten Forscherinnen und Forscher vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg, des Center for Ocean and Society (CeOS) an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig jahrzehntelange Fischereidaten der Region mit Hilfe statistischer Modelle.
Fangquoten müssen Klimaveränderungen einbeziehen
In Fischereimanagement wird jährlich eine nachhaltige Gesamtbiomasse für bestimmte Fischarten festgelegt, die gefangen werden darf. So kann sich deren Bestand für das nächste Jahr erholen. Dieses System berücksichtigt jedoch nicht die sich verändernden Umweltbedingungen in der Region, zum Beispiel durch den Klimawandel. So wurde in den vergangenen Jahren zu viel Dorsch gefangen und der Bestand kann sich nun nicht mehr regenerieren.
„Normalerweise geht man davon aus, dass sich die Bestände erholen können, wenn man den Fischereidruck verringert. Unsere Analyse zeigt, dass dies wahrscheinlich nicht mehr der Fall ist", erklärt Professor Christian Möllmann vom Institut für Marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaft. „Der Dorschbestand befindet sich jetzt in einem stabilen – kritischen – Zustand, der eine Rückkehr zur alten Größe schwierig macht."
Die Forscherinnen und Forscher nutzten sowohl gängige als auch für die Ökologie ganz neue Algorithmen, um besser zu verstehen, warum die Biomasse des Dorsches zurückgeht. Eine Methode basiert auf der "Katastrophentheorie". Diese Methode versucht zu klassifizieren, wie Systeme plötzlich ihr Verhalten ändern können, und wird seit den 1970er Jahren zur Vorhersage von Ereignissen wie Börsencrashs und Überbelegung von Gebäuden eingesetzt.
Die Forscher sammelten zunächst Berichte über die Abschätzung des Dorschbestands in der westlichen Ostsee von 1970 bis 2018 sowie Datensätze über die jeweilige Temperatur der Meeresoberfläche in der Region. Mit Hilfe eines speziellen statistischen Ansatzes konnten sie dann Trends und plötzliche Veränderungen im Dorschbestand erkennen – zum Beispiel, wenn es einen plötzlichen Rückgang bei den Nachwuchsjahrgängen gab. Zusätzlich wurde die jährliche Gesamtbiomasse der Dorsche und deren Fortpflanzungsraten bestimmt.
EU liegt bei nachhaltiger Fischerei hinten
Die Ergebnisse zeigen, dass eine jahrzehntelange Überfischung zu einem Rückgang der Gesamtbiomasse des Kabeljaus in der Region geführt hat. Dies wirkt sich direkt darauf aus, wie gut sich der Fisch reproduzieren kann, um seine Population wieder aufzubauen. Die Autorinnen und Autoren stellen außerdem fest, dass der Kabeljau nicht in der Lage ist, sich an die sich schnell erwärmende Umwelt anzupassen. Frühere Studien zeigten, dass dies seine Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt.
„Auf der einen Seite wird der Bestand zu stark befischt, auf der anderen Seite steigt die Temperatur", sagt Fischereiwissenschaftler Christian Möllmann. Die Erwärmung des Wassers könne ein Hinweis darauf sein, dass auch Faktoren wie der pH-Wert oder der Sauerstoffgehalt des Wassers beeinträchtigt werden, erklärt Möllmann. „Die Temperatur ist immer ein Indikator dafür, was im Ökosystem vor sich geht". So könnte der Fischereidruck in Kombination mit der Erwärmung des Ozeans einen Allee-Effekt verursacht haben – eine Situation, in der weniger Fische brüten können, so dass immer weniger Eier überleben und heranwachsen.
Laut Studie sei neben dem Klimawandel die Ignoranz gegenüber Umweltveränderungen im Fischereimanagement ein Hauptgrund für den Zusammenbruch der westlichen Ostseedorsch-Population. So blieben beispielsweise die Systeme für ökosystem-basiertes Fischereimanagement in der Europäischen Union noch weit hinter dem zurück, was in den USA praktiziert wird. Grundsätzlich ist jedoch die Einbindung von Umweltinformationen in das Fischereimanagement weltweit mangelhaft.
Da sich der globale Klimawandel und damit die Erwärmung der Ostsee fortsetzen werden, muss sich die Fischerei noch lange Zeit drastisch einschränken. „Unsere Analyse zeigt, dass sich der Dorschbestand gar nicht oder nur äußerst langsam erholen wird“, sagt Möllmann. „Ich möchte darauf hinweisen, dass wir jetzt eine Lösung für die Fischerei finden müssen, mit einer sehr geringen Fangmenge auszukommen."
Fachartikel
Möllmann C, Cormon X, Funk S, Otto SA, Schmidt J, Schwermer H, Sguotti C, Voss R, Quaas M (2021): Tipping point realized in cod fishery, Nature Scientific Reports,
DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-021-93843-z
Kontakt:
Prof. Dr. Christian Möllmann
Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN)
Exzellenzcluster für Klimaforschung (CLICCS)
Universität Hamburg
E-Mail: christian.moellmann"AT"uni-hamburg.de
Tel.: +49 40 42838 – 6621
Stephanie Janssen
Öffentlichkeitsarbeit/Outreach
Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN)
Exzellenzcluster für Klimaforschung (CLICCS)
Universität Hamburg
E-Mail: stephanie.janssen"AT"uni-hamburg.de
Tel.: +49 40 42838 - 7596