Ostsee-Zukunft verstehen durch Zeitreise in die Vergangenheit des Ostsee-PhytoplanktonsPHYTOARK geht an den Start
3. Mai 2021, von IOW Warnemünde
Foto: IOW/ S. Busch
Der Klimawandel bedroht die Artenvielfalt in Meeren und Ozeanen und damit auch die Stabilität mariner Ökosysteme. Schon jetzt zeigt das Phytoplankton – photosynthetisch aktive Kleinstlebewesen an der Basis des ozeanischen Nahrungsnetzes – erste Veränderungen. Das am 1. Mai gestartete Forschungsnetzwerk PHYTOARK unter Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) will mit Hilfe neuester Methoden der Paläoökologie und Biodiversitätsforschung bis zu 8000 Jahre zurückschauen und durch natürliche Klimaschwankungen bedingte Veränderungen des Ostsee-Phytoplanktons rekonstruieren. Dieser Blick in die Vergangenheit soll helfen, zukünftige Klimawandelfolgen besser abzuschätzen. Prof. Inga Hense vom CEN ist am Projekt beteiligt.
„Wir stehen am Anfang eines faszinierenden Forschungsvorhabens, bei dem wir Spuren der Vergangenheit wie etwa sehr alte DNA nutzen, um möglichst belastbare Zukunftsszenarien zu entwickeln, und sogar Organismen wiederbeleben, die hunderte von Jahren im Ostseeschlamm geschlummert haben“, kommentiert Dr. Anke Kremp den Projektstart.
Die IOW-Expertin für Phytoplanktonökologie leitet das internationale PHYTOARK-Netzwerk, das für drei Jahre mit insgesamt rund 1 Mio. Euro von der Leibniz-Gemeinschaft im Rahmen des Leibniz-Wettbewerbs gefördert wird. Beteiligt sind neun weitere Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Finnland, Schweden und den USA, darunter als Hauptpartner das Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt sowie die Universitäten Hamburg und Konstanz.
Die Kernidee von PHYTOARK besteht darin, dass in den Sedimenten der Ostsee wie in einem Archiv Spuren der Vergangenheit eingelagert sind, deren Alter gut datierbar ist und die Rückschlüsse erlauben, welche Phytoplanktongemeinschaften zu verschiedenen Zeiten in dem Binnenmeer gelebt haben und welche Umweltbedingungen dabei jeweils herrschten. „In den rund 8.000 Jahren, in denen die Ostsee als Brackwassermeer existiert, gab es mehrere Wärmeperioden – natürliche Klimaschwankungen – mit Erwärmung in einer Größenordnung, die mit dem heutigen menschgemachten Klimawandel vergleichbar ist“, erläutert Kremp. „Wir wollen verstehen, wie das Phytoplankton auf diese Umweltveränderungen reagiert hat. Diese Informationen können dann in computergestützte Simulationen einfließen, die Aufschluss darüber geben, wie das Phytoplankton der Zukunft funktioniert“, so die IOW-Expertin.
Die daraus resultierenden Erkenntnisse sind wiederum zur Abschätzung der Klimawandelfolgen für das gesamte Ökosystem Ostsee äußerst wertvoll. „Denn wenn es an der Basis des Ostsee-Nahrungsnetzes Veränderungen gibt, setzen sich die Auswirkungen bis in höhere Ebenen – beispielsweise bei den Fischbeständen – fort“, erklärt Kremp. Daher ist auch die HELCOM (Helsinki-Kommission zum Schutz der Ostsee) in das PHYTOARK-Netzwerk eingebunden, um einen Bewertungsrahmen für Klimawandelfolgen mit zu entwickeln, der die Erkenntnisse zu klimabedingten Auswirkungen auf Phytoplanktondiversität und -funktion in der Vergangenheit berücksichtigt.
„Schon im April haben wir bei einer Expedition mit dem IOW-Forschungsschiff Elisabeth Mann Borgese Sedimentkerne aus der zentralen Ostsee und dem Finnischen Meerbusen gezogen, die wir als Archive der Vergangenheit auswerten wollen, sowie Wasserproben genommen, um Referenz-Werte für den heutigen Zustand zu gewinnen“, schildert Anke Kremp die bereits angelaufenen praktischen Vorarbeiten.
Um das Ostsee-Phytoplankton längst vergangener Zeiten samt dazugehöriger Umwelt-bedingungen zu rekonstruieren, setzt PHYTOARK auf einen neuartigen multidisziplinären Ansatz, der modernste Paläoumweltforschung und Biodiversitätsforschung sowie experimentelle Planktonökologie und Ökosystemmodellierung kombiniert. Aus den Sedimentproben soll sogenannte Umwelt-DNA extrahiert und analysiert werden, also die Erbinformation all der Organismen, deren Überreste sich im Lauf der Jahrtausende in den verschiedenen Schichten abgelagert haben. „Wir können so sehr lange DNA-Zeitreihen erstellen, die Rückschlüsse erlauben, wie sich die Artenvielfalt und Funktion der Phytoplanktongemeinschaften verändert haben“, erläutert Kremp.
Außerdem will PHYTOARK durch Paläogenomik, der Rekonstruktion alten Erbgutes bestimmter Schlüsselarten, herausfinden, wie klimabedingte Umweltveränderungen zu evolutionären Anpassungen geführt haben. Besonders spannend seien, so Kremp, in diesem Zusammenhang die Untersuchungen an jahrhunderte- bis jahrtausendealten wiederbelebten Populationen: Phytoplankter bilden Ruhestadien, um Zeiten widriger Bedingungen zu überdauern. Diese können unter günstigen Bedingungen zu neuem Leben erweckt, physiologisch charakterisiert und mit heutigen Populationen verglichen werden. „Fast muss man an Jurassic Park denken, selbst wenn unsere Phytoplankter natürlich nicht aus der Dinosaurier-Zeit stammen“, sagt die Phytoplanktonökologin. Durch Analyse verschiedener organischer und anorganischer Sedimentbestandteile werden zusätzlich Rückschlüsse über frühere Salzgehalte, Sauerstoff- und Temperaturverhältnisse möglich und runden so die PHYTOARK-Rekonstruktion der der Ostsee-Vergangenheit ab.
„Mit den PHYTOARK-Partnern bringen wir erstmals all die Expertise in einem Netzwerk zusammen, die für eine derart ganzheitliche Erforschung von planktischer Vielfalt und Klimaveränderungen in der Ostsee-Vergangenheit nötig ist. Auch die konsequente Integration von Strategien, um unsere Erkenntnisse für die ökologische Bewertung der Ostsee-Zukunft zu nutzen, macht unseren Ansatz neu und vielversprechend“, kommentiert Anke Kremp abschließend.
Leibniz-Wettbewerb, Förderlinie „Kooperative Exzellenz"
Beim Leibniz-Wettbewerb treten Leibniz-Einrichtungen in den direkten Wettbewerb um Forschungsmittel. So will die Leibniz-Gemeinschaft zusätzliche Anreize für Forschung auf höchstem Niveau schaffen. Weniger als 30 % aller Wettbewerbsanträge werden gefördert. In der Förderlinie „Kooperative Exzellenz“, zu der auch das PHYTOARK-Netzwerk gehört, unterstützt die Leibniz-Gemeinschaft speziell solche Vorhaben, die nur durch Vernetzung verschiedener Partnerinstitutionen – auch außerhalb der Leibniz-Gemeinschaft – besonders innovativ sind und nur so gelingen können.
Kontakt
Wissenschaftlicher Kontakt
Prof. Dr. Inga Hense, Universität Hamburg
Tel.: +49 40 42838-6641
E-Mail: inga.hense@uni-hamburg.de
Kontakt IOW Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Kriststin Beck
Tel.: +49 381 5197 135
E-Mail: kristin.beck@io-warnemuende.de