Klimaverhandlungen in Polen: „Wir sitzen immer noch alle im selben Kanu“
19. Dezember 2018, von SICCS Universität Hamburg
Foto: UHH
Jun. Prof. Dr. Janpeter Schilling, SICSS Absolvent, und Rebecca Froese, SICSS Doktorandin, waren als Beobachter bei den internationalen Klimaverhandlungen in Kattowitz, Polen, dabei. Im Gespräch mit SICSS, der Graduiertenschule des Exzellenzclusters CliSAP, berichten sie von ihren Eindrücken.
In aller Kürze, worum ging es bei den diesjährigen Verhandlungen?
Schilling: Auf den internationalen Klimaverhandlungen 2015 in Paris einigten sich die Staaten, die globale Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf zwei Grad Celsius, oder wenn möglich auf 1,5 Grad, zu begrenzen. In diesem Jahr ging es darum, ein Regelwerk auszuarbeiten, das festlegt wie die nationalen Klimaziele überprüft und freiwillig verschärft werden können. Gleichzeitig sollen ärmere Länder von reicheren Ländern sowohl bei der Klimaanpassung als auch der Vermeidung von Treibhausgasen unterstützt werden.
In Anbetracht der Tatsache, dass die globale Erwärmung bereits über ein Grad Celsius erreicht hat, wie realistisch ist es noch, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen?
Froese: Wie dramatisch die Reduktion von Treibhausgasen ausfallen müsste, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, zeigt ein im Oktober veröffentlichter Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC): Die globalen Emissionen müssten bis Mitte des Jahrhunderts drastisch sinken und dann vollständig ausbleiben. Der Bericht ist einer der meist zitierten Dokumente dieser COP („Conference of the Parties“, Klimaverhandlungen). Schon zu Beginn der Verhandlungen verursachten die USA einen Eklat, als die Vertreter des Landes anmerkten, dass sie den Bericht nicht wie die überwiegende Mehrheit der Staaten „begrüßen“, sondern lediglich „zur Kenntnis nehmen“ würden.
Schilling: Kurz vor Beginn der COP24 in Kattowitz hatte bereits Brasilien verkündet, dass das Land die für 2019 geplante COP25 nun doch nicht ausrichten werde. Die Staats- und Regierungschefs stehen mit der „Dekarbonisierung“ des globalen Energie-, Wirtschafts- und Transportsystems, also vor einer Herkulesaufgabe, während gleichzeitig wichtige Emittenten von Treibhausgasen wie die USA und Ölstaaten wie Saudi-Arabien eine blockierende Haltung einnehmen. Wenn weiterhin gegenseitig blockiert wird, scheint das Erreichen des 1,5 Grad-Zieles in weiter Ferne.
Mit welchen Erwartungen sind Sie auf die COP gefahren?
Schilling: In Zeiten von wachsendem Nationalismus und „my-country-first“-Agenden kann man schon froh sein, dass es überhaupt noch zu internationalen Klimaverhandlungen kommt, an denen tatsächlich jedes Land teilnimmt. Wirkliche alternative Formate, die es kleinen Staaten ermöglichen, nahezu gleichbestimmt mitzureden, gibt es derzeit keine. Die Verhandlungen des Regelbuches dauerten nun bereits drei Jahre, daher war wohl die größte Erwartung, dass es diesbezüglich endlich einen Durchbruch geben würde.
Wie beurteilen Sie das Ergebnis der Verhandlungen insgesamt?
Schilling: Man kann schon von einem Erfolg sprechen, gerade unter den politischen Bedingungen, unter denen diese Einigung erzielt wurde. Es wurde ein solides Regelbuch für die Umsetzung des Paris Abkommens verabschiedet. Die Staaten müssen ab 2020 alle zwei Jahre Bericht erstatten, was sie für den Klimaschutz tun und ob diese Maßnahmen CO2 Emissionen mindern. Ab 2023 soll alle fünf Jahre geschaut werden, ob die Staaten ihre selbst gesetzten Klimaziele erreichen. Zudem sollen die Industriestaaten ab 2025 ihre Beiträge zur Klimafinanzierung weiter erhöhen.
Froese: Andererseits ist das Abschlussdokument nur von allen Staaten bewilligt worden, weil die heikle Diskussion um die sogenannte „Doppelanrechnung“ – wenn also Staaten CO2 Einsparungen oder Finanzierungen an zwei oder mehr unterschiedlichen Stellen zu ihren Klimazielen hinzurechnen – auf die COP25 im nächsten Jahr vertagt wurde. Auch die Erwartungen, dass viele Staaten sich auf dieser Konferenz höhere Klimaziele setzen würden, wurde enttäuscht. Die „Koalition der Ambitionierten“, darunter auch die EU und Deutschland, haben zwar ambitioniertere Ziele ab 2020 angekündigt, aber im Vergleich zu dem Momentum, was noch in Paris zu spüren war, blieb die „Koalition der Ambitionierten“ in diesem Jahr eher klein. Auch bekennen sich die Staaten im Abschlussdokument nicht klar zum 1,5 Grad Sonderberichtes des Weltklimarates, wie von vielen Beobachtern gefordert, sondern belassen es bei einer Danksagung an die Wissenschaftler.
Wie haben Sie die Rolle Deutschlands insgesamt wahrgenommen?
Schilling: Deutschland wird seine Klimaziele, die Treibhausemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren, sehr wahrscheinlich nicht erreichen. Auch der Kohleausstieg in Deutschland ist bislang noch unklar. Obwohl Deutschland beim Thema Erneuerbare Energien immer noch ein wichtiger Akteur ist, hat das Land den Ruf als Vorreiter beim Klimaschutz verloren. Das wurde auf mehreren Side-Events auf der COP deutlich.
Froese: In diesem Licht erscheint auch die Zusage Deutschlands, seinen Beitrag zum Green Climate Fund zu verdoppeln, ein wenig wie ein außenpolitischer Vorwand, um von der innenpolitischen Trägheit in der Klimapolitik abzulenken. Nichtsdestotrotz ist die Erhöhung des Beitrags natürlich ein wichtiges Zeichen, dass hoffentlich viele weitere Industriestaaten motiviert, Gelder für Klimaschutz und Klimaanpassung in Entwicklungsländern bereitzustellen.
Wie war die Stimmung auf der Konferenz?
Schilling: Es ist schwierig, bei einer so großen und komplexen Veranstaltung die Stimmung zu erfassen, aber die von Paris entfachte Euphorie schien mir verflogen. Das lag auch am sehr technischen Charakter dieser COP, bei der es im Wesentlichen um das Kleingedruckte des Regelwerks ging.
Froese: Insgesamt war es schwierig, die Stimmung der Delegierten aufzugreifen, weil viele Verhandlungen für Beobachter nur mit einem speziellen Ticket-System zugänglich waren und Informationen nur manchmal nach außen drangen. Auch zivilgesellschaftlicher Protest war in diesem Jahr nach meinen Erfahrungen sehr viel spärlicher gesät. Richtig laut wurde es eigentlich nur einmal, als Protestierende ein von den Amerikanern organisiertes Pro-Kohle Side-Event störten.
Welche Veranstaltung oder Rede bleibt Ihnen besonders im Gedächtnis?
Schilling: Die Rede von Al Gore war rhetorisch beeindruckend. Sie hat eindrucksvoll gezeigt, wie dramatisch die Folgen des Klimawandels weltweit sind. Leider waren seine Darstellungen des Syrienkonflikts als klimawandelgetriebener Konflikt sehr verkürzt und auch seine Angstmache vor „Klimaflüchtlingen“, zusammen mit der Äußerung „They are hungry“, war wenig hilfreich. Trotzdem folgten Applaus und Standing Ovations.
Froese: Nicht unbedingt emotional berührend, aber von Format her sehr eindrücklich fand ich den Talanoa Dialog. Der Begriff Talanoa wurde von der Fidschi-Präsidentschaft während der letzten Klimaverhandlungen (COP23) in Bonn eingeführt und ist auf Fidschi ein Ansatz zur Konfliktlösung. Die Konfliktparteien kommen auf Augenhöhe zusammen, um sich ihre Geschichten ohne Wertung und ohne Vorurteile zu erzählen und so gegenseitiges Verständnis für ihre jeweilige Perspektive zu schaffen. Die Stärke dieses Dialogs ist es, alte Verhandlungsstrukturen aufzubrechen und nicht nur Regierungsparteien, sondern auch die Zivilgesellschaft ins Gespräch zu bringen.
Wie geht es jetzt weiter?
Schilling: Entscheidend wird sein, wie gut das Systems des „Shaming and Blaming“ – also die negative Rückmeldung anderer Staaten und Organisationen bei Nichterfüllung der gesetzten nationalen Klimaziele – funktionieren wird. Unabhängig von den nationalen Klimazielen und deren Einhaltung, wird der Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter schnell voranschreiten, da er auch ökonomisch Sinn macht.
Froese: Die UN Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und die UN Abteilung für Wirtschaft und Soziales (UNDESA) haben für März 2019 eine erste gemeinsame Konferenz angekündigt, bei der es explizit um die Synergiefindung zwischen den internationalen Klimazielen und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Agenda 2030) gehen soll. Dabei muss dann meines Erachtens die gerechte Gestaltung des globalen Wandels ganz oben auf der Agenda stehen, konkret muss es also um Menschenrechte, Ernährungssicherheit, die Rechte indigener Gemeinschaften, Geschlechtergerechtigkeit, intergenerationelle Gerechtigkeit, Ökosystemintegrität und die Beteiligung der Öffentlichkeit gehen. Denn am Ende kann dieser Prozess nur Erfolg haben, wenn alle Staaten, Unternehmen und die Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen – oder, wie es die Fidschi Präsidentschaft auf der letzten COP ausgedrückt hat: „Wir sitzen alle im selben Kanu“.