Wer die Gasbläschen im Erdinneren hört
17. Oktober 2018, von Stephanie Janssen
Foto: Dieter Schütz/pixelio.de
Dirk Gajewski hat das Bild vom Inneren der Erde schärfer gezeichnet und würde die unterirdische Speicherung von CO2 erforschen wollen. Der Geophysiker und CEN Vorstand ist soeben für seine Arbeit ausgezeichnet worden – und tourt demnächst durch Europa.
Herr Gajewski, Sie sind Geophysiker. Welche Eigenschaft von Gestein mögen Sie persönlich am meisten?
Granit.
Das ist doch keine Eigenschaft.
Für mich schon, ich klettere auch. Da ist mir Granit der angenehmste Untergrund. Er ist kristallin und sehr rau. Bei Granit kommt es eher auf die Balance als auf die Muskelkraft im Oberkörper an. Gut für mich! Kalk dagegen, wie zum Beispiel in den Dolomiten, ist kompakter und steiler.
Aber Sie sind Geophysiker, kein Geologe. Was erforschen Sie?
Im Grunde betreibe ich Fernerkundung, nur ohne die dafür typischen Satelliten. Wir schicken stattdessen akustische Wellen ins Innere der Erde und fangen die Echos auf. Dazu postieren wir Sensoren, quasi unsere „Ohren“, an der Erdoberfläche, in Bohrlöchern oder auch am Meeresgrund, und lauschen auf die Geräusche im Erdinneren.
Was hören Sie?
Es gibt sehr laute natürliche Geräusche, wenn sich die Erdplatten verschieben und ein Erdbeben ausgelöst wird. Aber auch die leisen Töne wie unterirdische Lava- und Wasserströme oder aufsteigende Gasblasen an Bruchstellen können wir hören. Auf diese Weise wird zum Beispiel überwacht, ob es an Förderstellen für Erdgas ein Leck gibt.
Zusätzlich können wir auch aktiv Wellen aussenden. Diese werden von den verschiedenen Gesteinen im Untergrund ganz unterschiedlich reflektiert. Besonders an Übergängen zu neuen Gesteinsschichten fangen wir dann charakteristische Signale auf. So erstellen wir nach und nach ein dreidimensionales Bild vom Erdinneren.
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Dieses Bild konnten Sie jetzt noch weiter schärfen. Wie geht das, wenn man nur von der Oberfläche aus messen kann?
Ich beschäftige mich besonders mit Diffraktionen. Wenn wir die reflektierten Echos auffangen, gab es bisher einen großen Anteil an Signalen, die nicht genutzt wurden – wie die so genannten Diffraktionen. Sie entstehen an Ecken und Kanten im Inneren des Gesteins oder an einem eingeschlossenen Findling. Wir richten besonders viele Sensoren ganz gezielt aus und können die Signale so erstmals in die Auswertung einbeziehen.
Ihr neues scharfes Bild weicht räumlich nur noch um höchstens ein Prozent von den realen Gegebenheiten ab. Das bedeutet, wenn ich 4000 Meter tief bohre, hat das Bild eine Abweichung von höchstens 40 Metern. Wofür ist das wichtig?
Diese Verbesserung macht einen riesigen Unterschied, denn Kosten und Aufwand für tiefe Bohrungen sind immens. Wenn in mehreren Kilometern Tiefe nicht die gewünschten Strukturen oder Rohstoffe angetroffen werden, muss von vorn begonnen werden. Ich kann mit dem scharfen Bild aber auch potenzielle Lagerstätten für überschüssiges Kohlendioxid, also CO2, suchen und auf Tauglichkeit prüfen.
Geht es dabei um Sequestrierung, auch Carbon Capture and Storage oder kurz CCS genannt? Das ist eine Technik, mit der zum Beispiel das CO2 von Kohlekraftwerken nicht in die Atmosphäre eingebracht, sondern unterirdisch eingelagert wird.
Ja, auch. Zurzeit werden mit seismischen Methoden vor allem Lagerstätten für Erdöl und Erdgas überwacht. So sehen die Förderfirmen, ob alles gut läuft und auch, wieviel Gas oder Öl unterirdisch noch vorhanden ist. Mit einem schärferen Bild vom Erdinneren könnten aber auch CO2-Lagerstätten besser überwacht werden.
Die Bundesregierung hat im Gesetzentwurf von 2012 den einzelnen Ländern freigestellt, CCS auf ihrem Territorium zu verbieten. Der Widerstand in der Öffentlichkeit ist groß, mittlerweile bekennt sich kein Bundesland mehr offensiv zu CCS. Ist die Technik beherrschbar?
Ich denke schon. CCS ist für mich allerdings nur eine Brückentechnologie, um Zeit zu gewinnen, keine langfristige Lösung für das Kohlendioxid-Problem. Wenn wir allerdings die globale Temperaturerhöhung auf 1,5 oder 2 Grad Celsius begrenzen möchten, dann müssen wir schnell CO2 reduzieren. Ich wehre mich deshalb dagegen, dass CCS als Möglichkeit nicht detailliert erforscht wird.
Halten Sie den Widerstand für irrational?
Die Menschen erwarten von der Technik oft 100prozentige Sicherheit. Doch bei komplexer Technologie wird das Ergebnis immer eine Risikoabschätzung sein. Das ist hochinteressant, denn privat macht jeder für sich solche Abschätzungen: Wir fahren Auto, wir fliegen. Ich selbst gehe in die Berge. Das ist alles nicht zu 100 Prozent sicher – und trotzdem entscheiden wir uns dafür.
Von der Society of Exploration Geophysicists (SEG), einer internationalen Gesellschaft für angewandte Geophysik, sind Sie kürzlich zum „European Lecturer“ gekürt worden. Was bedeutet das?
Im nächsten Jahr werde ich durch Europa touren und in mehr als 20 Metropolen meine Forschung vorstellen – eine große Ehre, aber auch ganz schön anstrengend.
Was haben Sie als nächstes vor?
Ich bin im Vorstand des CEN, das Interdisziplinäre ist hier wirklich toll. Ich möchte die Zusammenarbeit in Richtung Wirtschafts-, Kultur-, und Sozialwissenschaften noch weiter verstärken. Außerdem verbinden wir uns gerade über die Fächergrenzen hinweg zum Thema „Machine Learning“. Wenn wir hier am Ball bleiben, könnten wir bei diesem neuen, dynamisch aufkommenden Thema an vorderster Front tätig sein.
Kontakt:
Prof. Dr. Dirk Gajewski