Klimaanpassung beginnt im Kopf
9. August 2018, von Vera Köpsel, CEN
Foto: UHH/CEN/V. Köpsel
Anpassung an den Klimawandel ist vielerorts nötig, aber oft passiert wenig. Wieso? Eine Spurensuche in Cornwall, wo eine Steilküste immer weiter abbricht und niemand handelt.
Es stürmt an der Küste von Cornwall. Mein Interviewpartner John und ich stehen auf einer Anhöhe und blicken auf den Atlantik. Stürme sind typisch für Cornwall. Die hohe Frequenz extremen Wetters irritiert jedoch die Einheimischen. „Sehen Sie die Treppe dort? Sie reichte mal bis hinunter zum Strand. Abgerissen im Sturm“, zeigt John und ruft durch das Getöse der Wellen: „Nun sind nur noch fünfzig Zentimeter Platz bis zum Abgrund. Bald fällt die Zugangsstraße zu dieser Landzunge ins Meer!“
John arbeitet für den National Trust, eine Organisation für Natur- und Kulturschutz in Großbritannien, und soll genau dies verhindern. Dieses Stück Küste heißt Godrevy, es wurde während der letzten Eiszeit vor mehr als 10.000 Jahren geformt. Die Klippen bestehen aus weichem Sediment, abgelagert von Gletscherflüssen, und stellen John vor eine große Herausforderung: Die Küste wird hier nach und nach vom Meer abgetragen. In den letzten Jahrzehnten schritt diese Erosion immer schneller voran. Pro Jahr wandert die Kante nun einen halben Meter landeinwärts. Der National Trust schreibt die zügige Erosion dem Klimawandel zu und sucht nach Anpassungsmaßnahmen, um den Zugang zu Godrevy zu sichern. Dabei steht viel auf dem Spiel. Zwar liegt auf der Landzunge keine Siedlung, sie gehört jedoch zu den beliebtesten Touristenzielen in Cornwall. Die Besucher kommen mit ihren Familien zum Wandern, Sonnen und Schwimmen. Godrevy ist unberührte Natur, Meer, Erholung vom Alltag.
Damit Godrevy auch in Zukunft erreichbar bleibt, will der National Trust eine Straße und zwei Parkplätze ins Landesinnere verlegen. Seit mittlerweile zehn Jahren führt John darüber Verhandlungen mit unterschiedlichen Akteuren vor Ort. So wird Godrevy von der Organisation Natural England als Naturschutzgebiet definiert. Ein Verband zum Erhalt der visuellen Ästhetik möchte vor allem die Schönheit der Natur erhalten, eine andere Initiative dagegen das Dünensystem schützen. Auch gibt es einen aktiv bewirtschafteten Landwirtschaftsbetrieb. Diese Konstellation von Beteiligtenmacht eine Anpassung schwierig und die Verhandlungen über die neue Infrastruktur zäh. Doch die die Küste erodiert und Anpassung tut Not – wieso ist es also nicht möglich, innerhalb von zehn Jahren eine Einigung zu finden?
Dieser Frage bin ich in meiner Doktorarbeit auf den Grund gegangen. Das Beispiel Godrevy steht dabei in einem größeren Kontext: Unser Klima ändert sich. Das ist international anerkannter wissenschaftlicher Konsens. Der Mensch ist dabei Mitverursacher des Klimawandels, aber auch Betroffener. So schädigen Dürren die Ernten in der Landwirtschaft, Stürme tragen Siedlungen fort, Küstenstreifen werden immer öfter überflutet. Auch in Europa wird der Klimawandel Folgen haben. Wo dies zu besonders starken Veränderungen führt, müssen Maßnahmen zur Anpassung entwickelt werden. Trotz der Dringlichkeit wird diese Anpassung aber vielerorts verzögert. Weshalb?
Die Kosten spielen dabei sicher eine wichtige Rolle. Die eigentliche Barriere besteht jedoch oft in unseren Köpfen. Viele Studien der letzten Jahre zeigen: Das Wissen über Umweltprobleme allein führt in den seltensten Fällen zu einer Lösung. Die Erkenntnisse über Ursachen und potenzielle Auswirkungen des Klimawandels werden nur langsam in gesellschaftliches und politisches Handeln übersetzt. Neben technischen Überlegungen sind es nämlich die sozialen Normen und Werte, tief in jedem von uns verankert, die unser Handeln prägen. Diese Werte können stark variieren, zum Beispiel zwischen dem europäischen und asiatischen Kulturraum. Doch auch innerhalb unserer westlichen Gesellschaft werden Phänomene wie der Klimawandel unterschiedlich wahrgenommen. Die Beteiligten haben zudem oft verschiedene Ziele und Interessen. Naturschützer setzen andere Prioritäten als Stadtplaner; Tourismus- und Agrarbranche sind oft uneinig. Große Relevanz haben auch der lokale Kontext und die Geschichte eines Ortes. All diese Faktoren beeinflussen, wie wir den Klimawandel wahrnehmen und ob wir entscheiden, ihm aktiv zu begegnen.
Es war Ziel meiner Forschung herauszufinden, wie sich solch unterschiedliche Wahrnehmungen auf die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen auswirken. Für mich als Geographin standen dabei diejenigen Werte im Zentrum, die sich auf die Interaktion zwischen Menschen und ihrer Umwelt beziehen. Welche Perspektiven auf Natur und Landschaft gibt es und wie beeinflussen sie verschiedene Ansätze zur Klimaanpassung? Ich begab mich auf Spurensuche in Cornwall und befragte vor Ort Menschen, die für Anpassung an die Küstenerosion zuständig sind. Meine Interviewpartnerinnen und -partner repräsentieren viele gesellschaftliche Gruppen: Organisationen wie den National Trust, Kommunen, Landwirte oder Interessengruppen für den Naturschutz.
Wie Menschen den Klimawandel wahrnehmen lässt sich nicht im Labor erforschen. Ich wählte für meine Forschung eine ungewöhliche Methode: sogenannte Spaziergang-Interviews. Klassische Befragungen werden meist in Büros durchgeführt, Spaziergang-Interviews finden in der Natur statt. Ausgerüstet mit Rekorder und Mikrofon ließ ich mich von meinen Interviewpartnerinnen und –partnern auf eine Exkursion entlang der Küste mitnehmen. Ich lernte so ihre persönlichen Perspektiven auf Godrevy und den Klimawandel kennen, auf die Landschaft, die Natur und darauf, wie man sich an die Erosion anpassen sollte. Durch diese individuellen Blickwinkel verstand ich besser, warum die Beteiligten beim Thema Klimaanpassung so uneins sind.
Es ist Mitte Mai, ich stehe wieder an Cornwalls Küste. Diesmal habe ich nicht John um ein Interview gebeten, sondern Emma. Godrevy zeigt sich heute in all seiner Schönheit. Blauer Himmel, das Meer türkis und ruhig. Emma arbeitet für die Naturschutzorganisation Natural England. Was sie mir über Godrevy und den Klimawandel erzählt klingt ganz anders als das, was John sagte. „Die Küstenerosion“, erklärt sie, „ist etwas Natürliches. Sie ist gut für das Ökosystem“. Anpassungsmaßnahmen hält sie für unnötig, zumal sie das eigentliche Problem an Godrevy nur verstärken: die Touristenmassen, die der Landschaft schaden und empfindliche Tiere stören. In meinen Interviews zeigt sich deutlich: Das Wort ‚Landschaft‘ hat hier sehr gegensätzliche Bedeutungen. Für John ist Godrevy eine Landschaft des Tourismus, deren Erreichbarkeit zu erhalten Priorität hat. Für Emma ist es am wichtigsten, das sensible Ökosystem zu schützen und die Schäden durch Menschen einzudämmen.
Im Gespräch mit weiteren Akteuren lerne ich: Neben diesen Perspektiven gibt es noch weitere Blickwinkel auf die Landschaft von Godrevy. Für einige steht die Schönheit der Küste im Mittelpunkt. Der Klimawandel wird als Bedrohung für die scheinbare ‚Unberührtheit‘ der Natur wahrgenommen. Anpassungsmaßnahmen an die Erosion sollen daher optisch unauffällig sein, das sei am wichtigsten. Andere sehen Godrevys Landschaft hauptsächlich im Kontext von Bodennutzung und Effizienz. Ziel von Klimaanpassung ist die Steigerung der Agrarproduktion, nicht Erhalt von Schönheit oder Schutz besonderer Arten.
Die konkreten Vorschläge, wie die Infrastruktur von Godrevy erhalten werden soll, sind so unterschiedlich wie die Perspektiven auf seine Landschaft. Der National Trust möchte die Straße landeinwärts verlegen und den Parkplatz erhalten. Natural England ist der Meinung, es sei gar kein Parkplatz erforderlich. Im Gegenteil: Die Erosion solle als natürlicher Vorgang noch unterstützt werden. Vordergründig irritiert diese Uneinigkeit; wollen doch alle Akteure die Landschaft von Godrevy vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen. Allerdings meint weder ‚Landschaft‘ noch ‚schützen‘ hier jeweils das Gleiche. In einem Fall wird die Landschaft als Koexistenz von Mensch und Natur gesehen, Tourismus ist erwünscht. Aus anderer Perspektive bedeutet Landschaft ein Mosaik aus Fauna und Flora, das man vor Menschen schützen muss. Entsprechend ergeben sich gegensätzliche Meinungen auch über den Umgang mit der Küstenerosion.
Mit meiner Forschung kann ich zeigen: Sowohl ‚Landschaft’ als auch ‚Klimawandel‘ werden sehr unterschiedlich wahrgenommen. Zwar mag mittlerweile gut erforscht sein, wie der Klimawandel unseren Planeten verändert. Wie seine Auswirkungen von den Akteuren vor Ort wahrgenommen und bewertet werden, kann jedoch stark variieren. Ob jemand bereit ist, in Sachen Klimaanpassung zu handeln, hängt entscheidend von genau diesen individuellen Perspektiven ab. Im Fall Godrevy resultiert dies in zähen Verhandlungen darüber, wie man sich an den Rückzug der Küste anpassen sollte. Erst wenn wir solche lokalen Kontexte verstehen und sie in politische Anpassungsstrategien einbeziehen, wird es möglich sein, an Orten wie Godrevy Maßnahmen zu finden, die von allen Beteiligten akzeptiert und mitgetragen werden.
Vera Köpsel hat die Küste von Cornwall im Jahr 2016 untersucht und anschließend im Exzellenzcluster CliSAP (Integrated Climate System Analysis and Prediction) an der Universität Hamburg promoviert. Zurzeit verantwortet sie am CEN für das EU-Projekt PANDORA die Bereiche Stakeholder Engagement und Öffentlichkeitsarbeit. PANDORA erforscht ein nachhaltiges Fischereimanagement.