Wie man Diversität misst
4. Juni 2018, von Lisa Wolf, CEN Universität Hamburg
Foto: UHH/CEN/L. Wolf
Die Anzahl verschiedener Arten, die in einem Gebiet leben, ist in der Regel der Maßstab für Diversität. Aber die Anzahl allein erzählt nicht die ganze Geschichte – es kommt auf die Funktion an, die sie im Ökosystem übernehmen, sagt Romain Frelat vom Institut für Marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften (IMF) der Universität Hamburg. Er und seine Kollegen haben die Vielfalt der Formen von Fischarten in der Nordsee mit einer neuen Methode untersucht und so die Formenvielfalt der Fischgemeinschaft objektiver als je zuvor verglichen.
Herr Frelat, in Ihrer Studie haben Sie sich die unterschiedlichen Körperformen aller Fischarten der Nordsee angesehen. Warum haben Sie gerade dieses spezielle Merkmal genauer untersucht?
Die Form von Organismen ist mit ihrer Funktion verbunden. Sie ist nicht zufällig; sie ist durch die Evolution entstanden und eine Anpassung an ihre Umwelt. Zum Beispiel ist die Form der Schwanzflosse mit der Schwimmfähigkeit verbunden – sie macht aus einem Fisch entweder einen Sprinter oder Marathonläufer, je nachdem, wie seine Überlebensstrategie und seine Umwelt aussieht. Normalerweise untersuchen Forschende die Körperform, indem sie Längen und Verhältnisse messen, die sie subjektiv auswählen. Zusammen mit meinen Kollegen hatten wir aber eine neue Idee: die Formen mit einer mathematischen Methode exakt und objektiv beschreiben.
Wie kann man mit Mathematik die Form von Fischarten beschreiben?
Wir haben dafür eine mathematische Methode genutzt, die elliptical Fourier transforms genannt wird. Dafür haben wir ungefähr 200 Bilder von verschiedenen Exemplaren der in der Nordsee lebenden Fischarten verwendet. Diese Bilder wurden in schwarz-weiße Silhouetten umgewandelt, um nur den Umriss zu haben. Ein Algorithmus transformiert dann die x und y Koordinaten in eine Summe von Sinus und Cosinus Funktionen. Im Grunde haben wir mathematisch den Umriss eines Fisches beschrieben.
Was ist der Vorteil dieser Methode?
Unsere Methode ist sehr objektiv – wir benutzen den kompletten Umriss, um die Form des Fisches zu beschreiben, ohne eine subjektive Entscheidung. Wer auch immer diese Analyse durchführt, wird zu den exakt gleichen Ergebnissen kommen. Darüber hinaus erhalten wir so Beschreibungen der Form, die für jede Form einzigartig sind. Wir können also die ursprüngliche Körperform aus der Beschreibung wieder rekonstruieren. Das ist ein elegantes Merkmal, das wirklich hilfreich bei der Interpretation der Ergebnisse ist. Diese Methode wurde zum ersten Mal auf Fischgemeinschaften angewendet.
Warum ist es wichtig, mehr über die Vielfalt der Körperformen oder auch Morphologie der Arten zu wissen?
Normalerweise schauen wir auf die Anzahl der Arten als Indikator für die Diversität eines Ökosystems. Aber auch wenn diese Zahl informativ ist, sagt sie eigentlich nicht viel aus – es wäre zu einfach zu sagen, wenn die Anzahl der Arten steigt, nimmt automatisch die Diversität zu. Wenn eine neue Art sehr ähnlich aussieht wie die Arten, die es in einem bestimmten Lebensraum bereits gibt, ist sie vielleicht für das Ökosystem gar nicht so wichtig. Wenn man dagegen eine Art verliert, die in ihrer Funktion einzigartig ist, ist das viel schlimmer. Morphologie verbindet viele dieser verschiedenen Merkmale und Funktionen von Fischen in ihrem Ökosystem – ihre Köperform sagt etwas darüber aus, was die Fische fressen, wie schnell sie schwimmen können, wie gut sie manövrieren. Darum ist es besonders interessant, die Körperform zu untersuchen.
Welche unterschiedlichen Körperformen konnten Sie finden? Gibt es Hauptfaktoren für die Diversität der Formen?
Die Durchschnittsform der Fischarten die in der Nordsee leben sieht ein wenig aus wie ein Kabeljau. Davon ausgehend ist die Hauptvariation Verlängerung. Also zum Beispiel angefangen beim Hering, der ein Hochseefisch mit einem länglichen Körper ist, über den ‚normal‘ geformten Kabeljau bis zur Flunder, die ein flacher Fisch mit abgerundeter Körperform ist. Verlängerung ist der Hauptfaktor für Diversität in der Nordsee. Der zweite ist die Form der Bauchflosse, also dem Flossenpaar am hinteren Endes des Fisches. Sie zeigt, wie gut ein Fisch manövrieren kann; zum Beispiel, um nach Beute zu suchen oder einem Jäger zu entfliehen. Als drittes gibt es die Form der Schwanzflosse, die mit der Schwimmleistung verbunden ist. Manche sind bessere Langstrecken-Schwimmer, andere sind eher schnelle Sprinter.
Was waren Ihre Ergebnisse für die Nordsee?
Die Nordsee ist besonders interessant, weil sie einen starken Umweltgradienten hat. Im Süden ist das Wasser eher seicht und hat eine starke Saisonalität, es erwärmt sich sehr stark im Sommer. Dort gibt es eine hohe Primärproduktion – also viel zu fressen. Dagegen ist im Norden das Wasser tiefer. Das Meer dort ist eine stabilere Umwelt, zumindest für die Fische, die am Boden leben. Das führt zu unterschiedlichen Fischgemeinschaften im Norden und Süden. Interessanterweise haben wir festgestellt, dass diese Gemeinschaften eine unterschiedliche Spannbreite an Körperformen haben. Im Süden waren die Körperformen der Fischarten unterschiedlicher als wir es erwartet hatten, im Norden hatten die meisten Fischarten eine ähnliche Form. Es scheint einen starken Druck durch die Umwelt zu geben, der die Diversität der Körperformen im Norden begrenzt.
Nachdem die Nordsee-Fischarten jetzt erfasst sind - Was sind ihre Pläne für die Zukunft?
Momentan untersuchen wir die Formen-Diversität in einem tropischen Riff. Die Diversität von Fischen in einem Korallenriff ist unglaublich, daher ist diese Fallstudie sehr interessant. Das Ziel dabei ist, die traditionellen Methoden um Körperformen von Fischen zu beschreiben mit unserer neuen Methode zu vergleichen. Langfristig wäre das Ziel, die Körperform aller Fischarten weltweit zu charakterisieren.
Wissenschaftliches Paper: Caillon, F., V. Bonhomme, C. Mollmann, and R. Frelat. 2018. A morphometric dive into fish diversity. Ecosphere 00(00):e02220. 10.1002/ecs2.2220