Emissionshandel: „Ein machtvolles Instrument, aber inzwischen viel zu kompliziert“
16. April 2018, von C. Krätzig CEN Universität Hamburg
Foto: UHH/RRZ/MCC/Mentz
Die EU hat ihren Emissionshandel zum wiederholten Mal überarbeitet, noch bevor die vorherige Reform in Kraft getreten ist. Grischa Perino, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, hat die geplanten Änderungen für Nature Climate Change unter die Lupe genommen. Sein Fazit: Die geplanten Änderungen werden bisherige Schwachstellen des Systems nicht dauerhaft beheben, könnte andere politische Maßnahmen zum Klimaschutz untergraben – und sind so kompliziert, dass ihre Auswirkungen kaum zu überblicken sind.
Herr Perino, die EU hat ihren Emissionshandel, das European Union Emissions Trading System EU ETS, reformiert. Warum? Was hat zuvor nicht funktioniert?
Das System war immer in Phasen geplant, um es alle acht bis zehn Jahre anpassen zu können. Reformen sind also nicht außergewöhnlich. Aber diesmal gab es einschneidende Veränderungen, weil die Preise für die Zertifikate, also für das Recht, Treibhausgase auszustoßen, weit hinter den Erwartungen geblieben sind. Sie kosten eher 5 bis 10 Euro statt wie von vielen erwartet 30 bis 40 Euro.
So niedrige Preise motivieren Unternehmer aber nicht, in klimafreundliche Technologien zu investieren – eine notwendige Voraussetzung, um die Klimaziele der EU zu erreichen.
Um Investitionen anzukurbeln, muss man die Preise anheben. Darum hat die EU bereits 2015 beschlossen, einen komplizierten Mechanismus einzuführen, die sogenannte Marktstabilitätsreserve. Sie soll die Menge der jährlich auf den Markt kommenden Zertifikate an die reale Nachfrage anpassen – anders als zuvor, als diese Menge lange im Voraus von der Politik festgelegt wurde.
Ab 2019 wird die Marktstabilitätsreserve Zertifikate aufsaugen, wenn davon so viele auf dem Markt sind, dass Unternehmen sie in großen Mengen horten. Dann werden die Emissionsrechte knapp und ihre Preise steigen.
Das Problem ist nur: Die zurückbehaltenen Zertifikate werden wieder ausgeschüttet, sobald die Polster der Unternehmen abgeschmolzen sind. Dann werden die Preise wieder sinken. Der Mechanismus wirkt also nur kurzfristig.
Werden dabei überhaupt Emissionen eingespart? Oder werden diese nur später freigesetzt?
Ursprünglich war vorgesehen, die zurückgehaltenen Zertifikate zu einem späteren Zeitpunkt wieder vollständig freizusetzen. Das hätte tatsächlich wenig für den Klimaschutz bewirkt. Deswegen hat die EU jetzt erstmals eine Möglichkeit geschaffen, Zertifikate zu löschen. Ab 2023 wird geschaut: Wie viele Zertifikate liegen in der Marktstabilitätsreserve? Wie viele haben die Unternehmen im Vorjahr ersteigert? Wenn mehr Zertifikate in der Reserve liegen als ersteigert wurden, wird dieses „Mehr“ gelöscht.
Das klingt gut, oder?
Im Prinzip ja. Allerdings finde ich die Umsetzung bedenklich. Weil man Emissionsrechte seit 2008 sparen konnte, wirkt sich dieser Mechanismus rückwirkend aus. Wenn aber Regeln rückwirkend geändert werden, können Regierungen und Unternehmen nicht verlässlich planen. Denn gerade beim Klimaschutz ist es wichtig, dass verschiedene Instrumente wie Emissionshandel oder beispielsweise Energiewende und Kohleausstieg langfristig aufeinander abgestimmt werden.
Das System ist unglaublich kompliziert geworden. Ich bezweifle, dass Akteure nachvollziehen können, wie sich die Marktstabilitätsreserve auf Preise und Gesamtemissionen auswirkt. Zumal sich die Auswirkungen durch die Ausgestaltung der Regeln von Jahr zu Jahr ändern und erst rückblickend feststeht, wie genau. Wie aber sollen sie dann sinnvolle Entscheidungen treffen; wie abwägen, ob es sich lohnt, in klimafreundliche Technologien zu investieren?
Wie würden Sie das System verbessern?
Um die Preise für die Zertifikate anzuheben, würden simple Maßnahmen reichen, beispielsweise die Einführung eines Mindestpreises. Im nächsten Schritt könnte man einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Preis und der Zertifikatmenge schaffen. Oder eine Zentralbank für Emissionsrechte einführen. An Ideen mangelt es nicht, damit das eigentlich simple und machtvolle Instrument Emissionshandel besser funktioniert. Doch jetzt wurden Regeln verabschiedet, die hanebüchen kompliziert und trotzdem wenig wirksam sind.
Grischa Perinos Kommentar in Nature Climate Change.
Grischa Perinos Kolumne beim Deutschen Klima-Konsortium e. V.
Grischa Perino ist Professor für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Sozialökonomie, Mitglied im Centre for Globalisation and Governance (CGG) sowie im Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg.
Das Interview führte Christina Krätzig (CEN).