Mehr Methan aus Sibirien im SommerUrsache dafür ist die Erwärmung der Luft und nicht des Bodens
27. Oktober 2022, von Geoforschungszentrum Potsdam
Foto: Torsten Sachs/GFZ
Was passiert in den ausgedehnten Permafrostgebieten der Arktis, wenn sich die Atmosphäre mehr und mehr aufheizt? Die Frage treibt die Klimaforschung seit Langem um, da große Mengen Kohlenstoff im gefrorenen Boden enthalten sind, die von Mikroben in die Treibhausgase Methan und CO2 umgewandelt werden können. Werden die Gase freigesetzt, könnte das die globale Erwärmung noch mehr beschleunigen.
Jetzt haben die Forscher Torsten Sachs und Norman Rößger vom Geoforschungszentrum in Potsdam (GFZ) gemeinsam mit Lars Kutzbach von der Universität Hamburg und Kolleg:innen des Alfred-Wegener-Institut in Potsdam Ergebnisse einer fast zwanzigjährigen Beobachtungsreihe in Sibirien veröffentlicht, die tatsächlich zeigen, dass die sommerliche Freisetzung von Methan seit 2004 um knapp zwei Prozent pro Jahr zugenommen hat. Ursache dafür ist allerdings nicht ein massiveres Auftauen des Permafrostes, so die Forschenden, sondern ein früher einsetzendes und verstärktes Pflanzenwachstum aufgrund der erhöhten Lufttemperatur. Die Studie erscheint am 27. Oktober im Fachjournal Nature Climate Change.
Die Daten stammen von der Insel Samoilow im Lena-Delta in Sibirien. Dort steht seit 2002 eine Messstation auf einem eigens dafür errichteten Turm. Zusätzliche Messungen, zum Beispiel der Bodentemperaturen und Auftautiefen, wurden in der Umgebung durchgeführt. Zunächst beschränkten sich die Forschenden mit ihren Messungen nur auf die Sommermonate, da die Winterbedingungen zu harsch und die Anreisen zu problematisch waren. Überdies fehlte eine ganzjährige Stromversorgung. Nach dem Bau einer permanent besetzten Forschungsstation im Jahr 2013 gelang es, die Messreihen nach und nach auf das ganze Jahr auszudehnen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist die deutsch-russische Zusammenarbeit eingefroren, so dass niemand genau sagen kann, ob die Messungen dort noch weitergehen.
Für ihre Auswertungen nutzten die Forschenden Daten aus den Jahren 2002 bis 2019. „Wir liefern vermutlich die ersten Belege für einen Anstieg der Methanemissionen aus der frühsommerlichen Tundra über die letzten zwei Jahrzehnte“, schreibt das Team in Nature Climate Change. „Wir können außerdem frühere Vermutungen bestätigen, dass die kalte Jahreszeit zwischen Oktober und Mai auf keinen Fall ignoriert werden darf: Bis zu 39% der Emissionen eines Jahres finden in dieser Zeit statt.“
GFZ-Forscher Torsten Sachs, korrespondierender Autor und einer der Projektleiter, erläutert den Hintergrund: „Wir sehen tatsächlich erstmals anhand gemessener Daten, dass sich in der Arktis etwas beim Methanausstoß tut und dass das auch klar mit der Zunahme der Temperatur zusammenhängt.“ Er schränkt ein: „Wir können aber nur Aussagen über die Sommermonate Juni, Juli und August machen, im September wird es schon unklar und für den Rest des Jahres fehlen uns schlicht ausreichend Daten.“ Damit sei eine Verschiebung von Emissionen innerhalb des Sommers mit höheren Raten in den frühen Sommermonaten klar, aber es lasse sich keine verlässliche Aussage darüber treffen, ob übers Jahr insgesamt mehr Treibhausgas freigesetzt wird.
Die Verschiebung erklären sich die Forschenden mit dem vermehrten Wachstum von Moosen und Riedgräsern, also der klassischen Tundravegetation. Über die Durchwurzelung des Bodens und biochemische Prozesse kommt es demnach zu einem verstärkten Methanausstoß im Juni und Juli. Die Befürchtung, dass der Boden tiefer auftaue, wird von den in der aktuellen Studie analysierten Daten nicht bestätigt. Im Gegenteil: „Wir haben trotz eines Temperaturanstiegs der Luft um 0,3 Grad keinen signifikanten Anstieg der Bodentemperatur festgestellt“, sagt der zweite Projektleiter, Lars Kutzbach vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Das Team vermutet, dass das stärkere Wachstum der Pflanzen den Boden vor direkter Sonneneinstrahlung schützt. Damit wirke die Vegetation dort wie eine Art Temperaturpuffer.
In der globalen Methan-Bilanz spielen die Permafrostgebiete der Arktis eine kleine Rolle, rund drei Prozent tragen sie zur Belastung der Atmosphäre bei, der Großteil weltweit stammt aus der Landwirtschaft. Generell ist es schwierig, die Emissionen genau zu beziffern. „Umso wichtiger ist es, dass wir über lange Datenreihen zu verlässlichen Aussagen kommen, die wir dann mit den Modellen vergleichen können“, sagt Kutzbach.
Zum Fachartikel
Originalpublikation: N. Rößger et al.: Seasonal increase of methane emissions linked to warming in Siberian tundra, in: Nature Climate Change; doi: 10.1038/s41558-022-01512-4
Kontakt
Prof. Dr. Lars Kutzbach
Universität Hamburg
Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN)
Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS)
Tel.: +49 40 42838-2021
E-Mail: Lars.Kutzbach@uni-hamburg.de(lars.kutzbach"AT"uni-hamburg.de)