Klimawandel und MeeresfischeWie sich Verschiebungen von Lebensräumen vorhersagen lassen
12. Juli 2022, von Dr. Anna Katharina Miesner
Foto: Scandinavian Fishing Year Book
Nie zuvor waren sie so weit im Norden, doch nun schwimmen Thunfische und Makrelen auch in grönländischen Gewässern. Der Klimawandel ändert die Bedingungen im Meer und so wandern viele Arten in neue Lebensräume. Darauf müssen Fischerei und Politik reagieren – auch um die Fanggründe nachhaltig bewirtschaften zu können. Aber lässt sich die räumliche Verteilung einzelner Fische überhaupt zuverlässig vorhersagen?
Das habe ich am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg erforscht. Dabei habe ich physikalische Bedingungen und biologische Zusammenhänge miteinander verknüpft und mit verschiedenen Modellansätzen gearbeitet. Ich wählte eine Dorschart aus, die in einem Seebecken westlich von Irland zu finden ist: Den Blauen Wittling. Über dessen Kinderstube in diesem Gebiet gibt es eine riesige Menge Daten: Seit den 1950er Jahren ist die Verteilung seiner Larven gut dokumentiert. Doch unter welchen Bedingungen fühlte sich der Fisch dort im Nordatlantik wohl und legte in einem besonders großen Gebiet seine Eier? Dazu nahm ich auch die physikalischen Daten wie Temperatur und Salzgehalt rund um das Laichgebiet unter die Lupe.
Meine Ergebnisse zeigen, dass der Blaue Wittling am liebsten seine Eier legt, wenn das Wasser warm und salzig ist. Dann dehnen sich die Laichgebiete im Seebecken vor Irland aus. Im kühleren Wasser und bei geringerer Salzkonzentration verkleinert sich das Laichgebiet und zieht sich Richtung Küste zusammen. Diesen wichtigen Zusammenhang möchte ich nutzen. Denn Klima- und Erdsystemmodelle liefern auch Daten und Prognosen zu Salzgehalt und Temperatur der Meere, also dem Meeresklima, rund um die Welt. Lassen sich diese Informationen für Vorhersagen zum Lebensraum des Blauen Wittlings nutzen?
Die Vorhersagen zum Meeresklima berechnete ich mit einem komplexen Erdsystemmodell. Dieses berücksichtigt die Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Meer und Land. So kann das Modell auch Temperatur und Salzgehalt für das Laichgebiet in der Zukunft abschätzen. Lokale Schwankungen des Ozeans haben dabei offenbar Auswirkungen auf die bevorzugten Laichgebiete. Ein schwacher subpolarer Wirbel des Nordatlantikstroms scheint günstige Voraussetzungen zu schaffen: Ist diese große Zirkulationsbewegung Richtung Westen positioniert, können sich mehr subtropische Wassermassen aus dem Süden im Laichgebiet ausbreiten. Dieses Wasser ist salziger und wärmer – das gefällt dem Blauen Wittling.
Zunächst machte ich allerdings rückblickende Vorhersagen: Als Test fütterte ich das Modell mit den Ozeandaten der vergangenen Jahrzehnte. So erhielt ich für das Laichgebiet Daten zu Temperatur und Salzgehalt. Daraus konnte ich ableiten, wo und wie groß das Gebiet war. Anhand der realen Larvenfunde konnte ich diese rückblickende Vorhersage dann überprüfen. Und es klappt, die Test-Vorhersagen stimmen größtenteils mit den tatsächlich gefundenen Larven überein.
Es ist mir also gelungen, Prognosen zum Meeresklima in biologische Vorhersagen zu übersetzen: Die Ausdehnung des Laichgebiets lässt sich etwa ein Jahr im Voraus vorhersagen. Und meine Methode ist auf andere Fischarten übertragbar. Wer die räumliche Verteilung einer Art kennt, kann bei Monitoring und Management Kosten sparen. Auch Konflikte um Fanggründe könnten im Vorwege entschärft werden. Kleine Inselstaaten und Entwicklungsländer, die vom Fischfang abhängig sind, könnten ebenfalls profitieren.
Mehr Informationen
Dr. Anna Katharina Miesner ist Meereswissenschaftlerin an der Universität Hamburg.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie