Wenn Unterwasserberge kollabieren
26. April 2022, von Jonas Preine
Foto: UHH/ J. Preine
Die malerische Vulkaninsel Santorini liegt in der südlichen Ägäis und ist berühmt für ihren letzten großen Ausbruch, die so genannte minoische Eruption. Diese Eruption war eine der größten der vergangenen 10.000 Jahre weltweit und hatte Einfluss auf den Niedergang der Kultur der Minoer. Insgesamt sind die Ausbrüche von Santorini sehr gut untersucht, ein besonders folgenschweres Ereignis war jedoch bisher nicht bekannt.
In einer neuen Studie zeigen wir, dass sich vor ca. 700.000 Jahren – in der frühen Entwicklungsphase von Santorini – eine Serie von Hangrutschen ereignete, welche die Gestalt der Insel und deren Umgebung massiv veränderte. In einer komplexen Kaskade von Abläufen wurden dadurch gigantische Sedimentmengen in den Becken rund um Santorini abgelagert. Dies hat wiederum den Vulkanismus von Santorini maßgeblich verändert.
Hangrutsche an vulkanischen Inseln sind Gegenstand aktueller Forschung, denn sie können vulkanische Eruptionen und Tsunamis auslösen. Ein gut dokumentiertes Beispiel ist der indonesische Vulkan Anak Krakatau. Im Jahr 2018 kollabierte eine seiner Flanken. Dies löste einen Tsunami aus, der mehr als 400 Todesopfer forderte. Die Spuren großer Hangrutsche wurden mittlerweile an verschiedenen vulkanischen Inseln entdeckt, doch viele Fragen blieben ungeklärt. Was genau löst diese Ereignisse aus, wie beeinflussen sie den Vulkanismus?
Unsere Berechnungen zeigen, dass bei den Hangrutschen um Santorini insgesamt etwa 125 Kubik-Kilometer Material abgelagert wurden. Zum Vergleich: Durch den Kollaps des Anak Krakatau wurde weniger als ein Kubik-Kilometer Material abgelagert. Zudem konnten wir einen Auslösemechanismus identifizieren: Kurz zuvor wurde die Gegend um Santorini von einer Serie sehr starker tektonischer Aktivität, einem sogenannten „tektonischen Puls“, erschüttert. Dies destabilisierte die umliegenden Vulkane, sodass zunächst die Flanke des erloschenen Christiana Vulkans sowie die südöstliche Flanke Santorinis kollabierten. Unsere Analyse deutet an, dass die plötzliche Auflast durch die Kollapse sekundäre Rutschungen rund um Santorini herum auslöste, deren Sedimente weit in die benachbarten Becken wanderten und in Entfernungen von über 60 Kilometern abgelagert wurden.
Entsprechende hochauflösende seismische Daten konnten wir 2019 mit dem Forschungsschiff Poseidon unter der Leitung von Dr. Jens Karstens vom GEOMAR aus Kiel gewinnen. Wir erzeugen dabei mit einem speziellen Luft-Pulser akustische Signale, die in den Meeresboden eindringen und an Schichtgrenzen wieder zurückgeworfen werden. Hinter dem Schiff schleppen wir ein langes Kabel, das Unterwassermikrofone enthält und die reflektierten Signale aufnimmt. Mithilfe von Computerprogrammen werten wir diese Signale anschließend aus und erstellen so ein strukturelles Abbild des Untergrunds. Das erlaubt uns, die Dicke und die Verteilung von Hangrutschen zu kartieren.
Als Folge der Kaskade hat sich der Vulkanismus rund um die Insel deutlich verändert, auch das belegen die Daten sehr genau. Entlang einer tektonischen Schwächezone um Santorini entstanden anschließend viele kleinere Vulkane, deren Überreste heute noch unter Wasser und auf Santorini selbst zu sehen sind. So zeigt die Studie erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen Tektonik, Hangrutschungen und Vulkanismus auf, die sich auf komplexe Weise wechselseitig beeinflussen.
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Jonas Preine ist Geophysiker am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) und promoviert zurzeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christian Hübscher.
Publikation
Preine J, Karstens J, Hübscher C, Crutchley GJ, Druitt TH, Schmid F, Nomikou P: The Hidden Giant: How a rift pulse triggered a cascade of sector collapses and voluminous secondary mass-transport events in the early evolution of Santorini; Basin Research, doi:10.1111/bre.12667
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