Forschung am MeeresgrundDer Klimawandel reicht bis in die Tiefsee
23. Januar 2024, von Prof. Dr. Gerhard Schmiedl
Foto: Gerhard Schmiedl
Bohrkerne sind wie ein Blick in die Vergangenheit. Mit ihnen erforschen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, was sich in den vergangenen Millionen Jahren auf der Erde abgespielt hat. Anhand der im Ozean entnommenen Proben können wir Annahmen darüber treffen, wann auf der Erde welches Klima geherrscht hat. Und: Wie es sich auf die Tiefsee auswirkte. Bei unserer Forschung helfen uns besondere Einzeller, die der Wissenschaft etwas Wichtiges hinterlassen: Gehäuse aus Kalk.
Diese Organismen, die für mich als Forscher besonders interessant sind, sind zwischen Tintenfischen, Seegurken und Würmern gar nicht mit bloßem Auge zu sehen. Denn die sogenannten Benthischen Foraminiferen sind gerade einmal so groß wie Sandkörner.
Mein Team und ich forschen am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) an der Universität Hamburg daran, wie die Tiefsee auf Klima- und Umweltveränderungen reagiert. Dabei helfen uns die Benthischen Foraminiferen – auch Kammerlinge genannt. Einige der Arten entwickeln nämlich eine Art Schneckenhaus aus Kalk. Diese Gehäuse bleiben nach dem Absterben der Einzeller im Gestein zurück.
Reise in die Vergangenheit
Um die Frage beantworten zu können, ob Klimaveränderungen Auswirkungen auf die Tiefsee haben, nutzen wir Bohrkerne. Wir fahren mit einem Schiff an geeignete Stellen und lassen ein Stahlrohr mit einem Gewicht ins Wasser. Dieses drückt sich in die noch weichen Ablagerungen und zieht eine meterlange Bodenprobe an die Erdoberfläche. Diese Probe zerschneiden, beschriften und beziffern wir nach dem Alter der Schichten – etwa nach Eiszeiten, Warmzeiten oder andere Klimaänderungen.
Mit den Proben geht es ins Labor an der Uni Hamburg: Dort untersuchen wir sie unter dem Mikroskop und analysieren die Benthischen Foraminiferen. Wir sehen, wie viele von ihnen und welche Arten an der untersuchten Stelle gelebt haben. So können wir auch auf den Sauerstoffgehalt und die Nahrungsgrundlage in der damaligen Zeitspanne schließen, da sich diese beiden Faktoren auf die Vielfalt der Kammerlinge auswirken.
Eng miteinander verbunden: Tiefsee und Klima
Aber wie hängt nun das Klima mit den Aktivitäten am Meeresgrund zusammen? Im Wasser leben viele Planktonarten, die sich an die Wassertemperatur in den oberflächennahen Bereichen der Meere angepasst haben. Wird es durch den Klimawandel wärmer, verschieben sich deren Lebensräume. Plankton ist aber die Nahrungsgrundlage von Organismen am Meeresgrund, weil es nach unten sinkt. Mehr Nahrung und ein zumindest moderater Sauerstoffgehalt sorgen somit für mehr Leben am Meeresgrund.
Für unsere Studie haben wir mehr als 30 Bohrkerne aus verschiedenen Meeren miteinander verglichen – darin sind auch Daten vom Exzellenzcluster CLICCS enthalten. Unsere Proben haben gezeigt: Ökosysteme der Tiefsee sind eng mit den klimatischen Veränderungen verbunden – also auch mit dem menschengemachten Klimawandel. Artenarme Ökosysteme reagieren empfindlich auf Klimaveränderungen. Artenreiche Ökosysteme reagieren hingegen stabiler – also die Systeme mit Nahrung und Sauerstoff.
Außerdem machen unsere Daten deutlich, dass Meeresböden nicht nach Bodenschätzen abgegraben werden sollten, denn: Die Fauna in der Tiefsee ist stark an die örtlichen Bedingungen angepasst. Es braucht viele Tausende Jahre, bis gestörte Ökosysteme wieder besiedelt werden. Wenn der Mensch nicht verstärkt in das Ökosystem der Tiefsee eingreift, sind das gute Aussichten für die Tintenfische, Seegurken und Benthischen Foraminiferen am Meeresgrund.
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Prof. Dr. Gerhard Schmiedl ist Geologe und forscht am Centrum für Erdsystemforschung, wie die Biodiversität in der Tiefsee auf Klimaveränderungen reagiert. Er ist auch im Exzellenzcluster CLICCS tätig.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie