Woher kommt der 26-Sekunden-Ton?„Als wäre im Boden eine zehn Kilometer lange Klarinette vergraben“
7. August 2023, von Niklas Keller
Foto: UHH/CEN/C. Hadziioannou
Es ist ein sehr, sehr tiefer Ton: Seismologinnen und Seismologen rätseln seit den 1960er-Jahren über ein Signal, das unter dem Meer im Golf von Guinea entspringt. Sogar weltweit ist der Ton zu hören. Dr. Charlotte Bruland und Prof. Céline Hadziioannou haben sich in einer Studie auf Spurensuche begeben. Trotz neuer Erkenntnisse bleibt es rätselhaft.
Ist es der Wellengang des Meeres oder doch ein vulkanisches System unter der Erde? Mit Seismometern lässt sich seit einigen Jahrzehnten ein regelmäßiger Ton aufzeichnen, dessen Schwingung immer genau 26 Sekunden dauert und der so tief ist, dass das menschliche Ohr ihn nicht wahrnehmen kann.
Jetzt sichteten die Geophysikerinnen Dr. Charlotte Bruland und Prof. Céline Hadziioannou vom CEN weitere Aufzeichnungen und stellten fest: Neben dem 26-Sekunden-Ton gibt es noch ein zweites Geräusch; die Forscherinnen bezeichnen es als gleitendes Vibrieren. „Dieser Ton geht linear hoch – allerdings nur alle paar Tage und er dauert auch mal mehrere Stunden oder Tage an. Manchmal hört man ihn jedoch auch einen Monat lang nicht“, so Hadziioannou. Auch für dieses Geräusch lässt sich keine Erklärung finden. Hängen die beiden Töne zusammen?
Ein System wie eine Klarinette
Den 26-Sekunden-Ton könne man sich vorstellen, als würde er aus einem Musikinstrument ertönen. „Wir vergleichen ihn mit einer Bassklarinette. Es ist als wäre im Boden eine zehn Kilometer lange Klarinette vergraben“, sagt Hadziioannou. So groß müsste sie nämlich sein, um einen solch tiefen Ton zu erzeugen. Je größer, desto tiefer der Ton. Aber was ist nun wirklich da unten?
Für ihre Ursachenforschung haben Bruland und Hadziioannou die Geräusche anderer vulkanischer Systeme untersucht. Diese Systeme klangen alle ähnlich – der 26-Sekunden-Ton ist aber deutlich tiefer als in anderen unterirdischen Systemen. Sie sind zudem viel kleiner. Welche Erklärung haben die Forscherinnen? „Wir vermuten, dass regelmäßig aus dem Erdinneren austretendes Gas durch eine Art vulkanischen Gang und dann durch kleinere Risse gepresst wird. Dadurch könnte das Signal entstehen“, sagt Hadziioannou. Der Wellengang im Ozean könnte diesen Prozess beeinflussen, obwohl die damit in Verbindung stehenden Frequenzen meistens höher sind als die hier beobachteten.
Für die Untersuchung nutzten Bruland und Hadziioannou vor allem Daten von Seismometern in Kamerun und Marokko, in der Nähe der Ursprungsstelle. Aber auch in den Daten von weltweit aufgestellten Seismometern waren die Töne zu erkennen. „Um besser zu verstehen, was unter der Erde vor sich geht, müssten wir vor Ort Daten erheben.“ Das Problem: „Im Golf von Guinea wimmelt es von Piraten. Außerdem wird dort nach Erdöl- und Erdgasvorkommen gesucht.“ Das erschwere die Forschung vor Ort, sagt Hadziioannou.
Neugier und mehr Erkenntnis über vulkanische Systeme
Was die Forscherinnen besonders antreibt? „Vor allem Neugier“, antwortet Hadziioannou. Dass das Phänomen auch viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessiert, zeigte auch der Begutachtungsprozess vor der Veröffentlichung der Studie. „Viele haben Vorschläge gemacht, was sonst die Ursache sein könnte. Und wir haben geantwortet: Das kann es nicht sein, das haben wir schon geprüft.“
Ein nächster Schritt könnte sein, ein vulkanisches System als Computersimulation nachzubauen. Dadurch ließe sich überprüfen, ob die physikalischen Mechanismen wirklich solche Töne verursachen. Ist das Rätsel also gelöst? Nicht ganz. Aber es gibt immerhin die Erkenntnis: Ein vulkanisches System als Ursprung des 26-Sekunden-Tons ist besonders wahrscheinlich.
Fachartikel:
Bruland C, Hadziioannou C (2023): Gliding tremors associated with the 26 second microseism in the Gulf of Guinea; Nature comms earth & environment, 4:176