Emissionshandel wird verschärft und ausgeweitet
25. April 2023, von Prof. Grischa Perino
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Die EU hat die Regeln für den Emissionshandel verschärft. CEN Direktor Professor Grischa Perino beschreibt, warum die Reformen ein Meilenstein auf dem Weg hin zu den Klimazielen sind. Es werden in Zukunft deutlich weniger Emissionsrechte ausgegeben werden als vorgesehen und der Handel wird Schritt für Schritt auf die Sektoren Gebäude, Verkehr und Schiffahrt ausgedehnt.
von Grischa Perino
Vor zwei Jahren hat sich die EU ambitionierte neue Klimaziele gesetzt. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent reduziert werden und ab 2050 soll nur noch so viel emittiert werden, wie der Atmosphäre zeitgleich wieder entzogen wird (Netto-Null). Um diese Ziele zu verwirklichen, hat die EU-Kommission im Sommer 2021 das »Fit for 55«-Paket vorgelegt. Es strebt nichts weniger an als eine Generalüberholung aller Klimaschutzmaßnahmen der EU. Ein Herzstück des Pakets ist die Verschärfung und Ausweitung des EU-Emissionshandels (ETS).
Der bestehende Emissionshandel umfasst
- fossile Großkraftwerke für Strom und Fernwärme,
- die Schwerindustrie,
- Zement-, Papier-, Keramik- und Glasproduktion sowie
- Teile der chemischen Industrie und
- innereuropäische Flüge.
Dieser seit 2005 bestehende Emissionshandel wird durch die Reform deutlich verschärft: Statt der bisher angestrebten Reduktion um 43 Prozent im Vergleich zu 2005, sind es jetzt 62 Prozent. Das bedeutet, dass in Zukunft deutlich weniger Emissionsrechte ausgegeben werden als bisher vorgesehen. Dadurch nimmt die Knappheit in den kommenden Jahren deutlich zu. Hinzu kommen weitere Verknappungen durch die Löschungen der Marktstabilitätsreserve.
Ausweitung des Emissionshandels
Der zweite und lange heftig umstrittene Meilenstein ist die Einführung eines weiteren Emissionshandelssystems für die Sektoren Gebäude und Verkehr. In Deutschland unterliegen diese durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz bereits seit 2021 einem CO2-Preis. Das neue Handelssystem wird 2027 eingeführt, wobei die EU einen ›Sicherungsmechanismus‹ eingebaut hat: Sollten die Energiepreise auf dem Niveau vom Frühjahr 2022 oder darüber liegen, dann verschiebt sich die Einführung des Systems um ein Jahr. Ländern, die wie Deutschland bereits einen nationalen CO2-Preis implementiert haben, wird eine Übergangsfrist bis Ende 2030 gewährt. Die ausgegebene Menge an Emissionsrechten im zweiten Handelssystem wird jährlich um gut 5 Prozent reduziert.
Der Emissionshandel wird zudem schrittweise auf die Schifffahrt innerhalb der EU ausgedehnt. Ab 2027 sollen die maritimen Treibhausgasemissionen in der EU vollständig in das bereits existierende Emissionshandelssystem integriert sein. Auch auf die Luftfahrt kommen Änderungen zu. Die kostenlosen Zuteilungen werden durch Auktionen ersetzt und alle nicht unter CORSIA1 fallende Flüge sollen vom Emissionshandel erfasst werden.
Etablierung eines Grenzausgleichsmechanismus
Die zentrale industriepolitische Maßnahme, die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten an Anlagen, die im internationalen Wettbewerb mit dem Nicht-EU-Ausland stehen, wird schrittweise durch einen Grenzausgleichsmechanismus, den »carbon border adjustment mechanism« (CBAM), ersetzt. Importe aus Ländern, die keine mit der EU vergleichbaren Klimaschutzauflagen erlassen, müssen bei der Einfuhr einen Zoll entrichten, der sich am CO2-Fußabdruck des Produkts und dem CO2-Preis in der EU festmacht.
Wie wird sich die Reform auf den Markt für Emissionsrechte auswirken?
Bereits jetzt hat die Zunahme der erwarteten Knappheit dazu geführt, dass der Preis für Emissionsrechte seit Februar 2023 über 90 EUR lag und zeitweise sogar die 100 EUR überstieg. Ein klares Signal, dass die Marktteilnehmer Vertrauen in die Zukunft des Emissionshandels haben, denn der Preis spiegelt insbesondere die erwartete Knappheit der nächsten Jahre und Jahrzehnte wider. Die Attraktivität von Investitionen in klimaneutrale Technologien und Produkte steigt.
Wird der Emissionshandel durch die neu eingeführten bzw. reformierten Flexibilisierungsmechanismen resilienter gegenüber Schocks auf den Energiemärkten oder der wirtschaftlichen Situation allgemein?
Die Marktstabilitätsreserve zielt darauf ab, den Markt für Emissionsrechte gegen wirtschaftliche Krisen resilient zu machen (siehe Infokasten). Sie wurde im Lichte der Erfahrungen mit den Folgen der Finanzkrise konzipiert und hat einen wichtigen Beitrag geleistet, den Preis für Emissionsrechte während der Covid-19-Pandemie zu stabilisieren.
Sie hat jedoch auch einen entscheidenden Nachteil: Genau der gleiche Mechanismus, der unerwartete und unmittelbare Schocks abmildert, verstärkt die Auswirkungen von antizipierten Änderungen in der Knappheit von Emissionsrechten, z. B. infolge von überlappenden Klimaschutzmaßnahmen der Mitgliedsstaaten oder technologischer Durchbrüche.3 Die aktuelle Reform verstärkt die Reaktion der Marktstabilitätsreserve und immunisiert den Emissionshandel effektiv gegen kurzfristige Schocks, macht ihn gleichzeitig aber anfälliger für absehbare langfristige Trends.
Im Prinzip wirksamer sind preisbasierte Stabilisierungsmechanismen, wie sie in Artikel 29a und 30h der EU-Emissionshandelsrichtlinie (Richtlinie 2003 / 87 / EG) enthalten sind. Ersterer war bisher jedoch wirkungslos, da er erst bei einer Verdreifachung des Preises und nach einer nur nebulös beschriebenen Bedingung eingesetzt werden konnte – was nie passiert ist. Die Bedingungen wurden nun klarer gefasst und die Schwelle gesenkt. Beides ist begrü.enswert. Der Mechanismus greift jedoch nur bei Preiserhöhungen, nicht bei Preisverfall; und das Inverkehrbringen einer größeren und fixen Menge von Emissionsrechten beim Überschreiten einer Preisgrenze statt des kontinuierlichen Ausweitens der Obergrenze birgt die Gefahr, seinerseits die Preisfindung zu erschweren und Spekulationen auszulösen.4
Im neuen ETS geht die Reform noch einen Schritt weiter, spezifiziert zum ersten Mal so etwas wie eine Preisobergrenze. Steigt der Preis im Emissionshandel für Gebäude und Verkehr über 45 EUR, dann werden 20 Mio. Emissionsrechte zusätzlich auf den Markt gebracht, mit dem Ziel, den Preis unter diesem Wert zu halten. Ob dies tatsächlich gelingt, ist jedoch alles andere als klar. Der Preis im bestehenden Emissionshandel liegt immerhin bei mehr als dem Doppelten. Wenn die 20 Mio. zudem tatsächlich eine Wirkung entfalten, dann besteht auch hier die Gefahr, dass das Erhöhen der Menge der verfügbaren Emissionsrechte um einen fixen Betrag Spekulationen auslöst. Bei der Ausgestaltung der Stabilisierungsmechanismen wurden meines Erachtens erhebliche handwerkliche Fehler gemacht. Wie bedeutsam diese für das zukünftige Marktgeschehen sein werden, lässt sich jedoch nur schwer im Vorhinein abschätzen. Das hängt in erster Linie von der Reaktion der Marktteilnehmenden und der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ab.
1 Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) ist eine marktbasierte Maßnahme zur Begrenzung der CO2-Emissionen der International Civil Aviation Organization (ICAO) // 2 Siehe Perino et al. (2022) // 3 Siehe Perino et al. (2022) // 4 Siehe Willner & Perino (2022)
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Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin „Audit Committee Quarterly“ erschienen.
Die Marktstabilitätsreserve
Die Marktstabilitätsreserve ist seit 2019 in Betrieb und passt die Anzahl der versteigerten Emissionsrechte im EU-ETS automatisch an das Marktgeschehen an. Übertragen die Unternehmen mehr als 833 Mio. Emissionsrechte von einem Kalenderjahr ins nächste, dann wird die Anzahl der neu ausgegebenen Emissionsrechte im Folgejahr um 24 Prozent dieses Übertrags gekürzt. Die nicht versteigerten Emissionsrechte wandern in die Marktstabilitätsreserve. Befinden sich mehr als 400 Mio. Emissionsrechte in der Marktstabilitätsreserve, dann wird die Differenz zu 400 Mio. endgültig gelöscht. Am 31.12.2021, dem Zeitpunkt der letzten bereits veröffentlichten Messung, wurden 1,45 Mrd. Emissionsrechte ins Jahr 2022 übertragen und befanden sich 2,6 Mrd. Emissionsrechte in der Marktstabilitätsreserve. Die Zahlen für den 31.12.2022 werden im Mai 2023 veröffentlicht. Die Marktstabilitätsreserve verknappt die Anzahl der verfügbaren Emissionsrechte erheblich. Als Reaktion auf eine Rezession in der Vergangenheit stabilisiert das den Markt. Versuchen die Unternehmen jedoch für eine erwartete Knappheit im Markt vorzusorgen, dann verstärkt die Marktstabilitätsreserve eben diese Knappheit.2