Die Zukunft der Elbe: Weniger Ausbaggern, mehr Flutschutz
4. Juli 2024, von Johannes Pein
Foto: UHH/CEN/T. Wasiliewsk
Kanus, Segler und Frachtschiffe ziehen vorbei, die Elbe glitzert. Auf den ersten Blick sieht man nicht, wie groß die Probleme sind. Damit voll beladene Containerschiffe im Hamburger Hafen ausreichend Tiefe vorfinden, wird die Fahrrinne regelmäßig ausgebaggert. Das verschlingt enorme Summen, erzeugt CO2 und schadet auch ganz direkt dem Ökosystem. Geht es auch anders?
Große bauliche Eingriffe könnten die Verschlickung auf Dauer verringern. Aber mit welchen Folgen? Diese realistisch abschätzen zu können, hat mich als Modellierer enorm interessiert. Wäre ein Damm in der Nordsee oder eher eine Überschwemmungsfläche im Alten Land sinnvoll? Und welchen Effekt haben die Maßnahmen bei fortschreitendem Klimawandel? Als Mitglied im Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg habe ich vier Optionen geprüft. Rein hypothetisch, versteht sich, um abzuschätzen, welche Wege Potenzial haben.
Grundsätzlich gibt es zwei Stellschrauben, um die Verschlickung des Hafens aufzuhalten. Man kann einerseits die Flut verringern, die die Sedimente in den Fluss hineinträgt. Technisch leisten dies Barrieren. Sie bremsen die tägliche Flutwelle vor Hamburg ab und verringern damit die Zufuhr an Sedimenten. Das könnte ein Gezeiten-Sperrwerk flussabwärts oder ein Seedeich vor Cuxhaven gewährleisten.
Oder aber man verstärkt die Ebbe, die die Sedimente wieder aus dem Fluss spült. Dafür muss man den Gezeiten zusätzlich Raum geben. Dies wäre zum Beispiel durch eine neu geschaffene Überflutungsfläche, einen Polder, gegeben. Oder ein trockengelegter Flussarm, wie die alte Süderelbe, könnte dafür wiederbelebt werden.
Aber welche Effekte haben die jeweiligen Varianten genau? Gibt es unerwünschte Nebenwirkungen? Das habe ich mit Hilfe eines komplexen Rechenmodells geprüft. Das Modell kann auf Basis der Topografie des Flusses die Gezeitendynamik nachbilden und so Aussagen über die Wassermengen machen, die im Hafen ankommen. Ich habe nacheinander jede bauliche Veränderung einzeln mit dem Modell geprüft. Gleichzeitig zeigen mir weitere Berechnungen, wie sich Wasserqualität, Sauerstoff- und Salzgehalt entwickeln.
Fazit: Das Ausbaggern könnte halbiert werden! Müssen heute noch rund fünf Millionen Kubikmeter Sediment pro Jahr angesaugt und weggeschifft werden, wäre – je nach Maßnahme – die Hälfte oder weniger nötig. Großes leistet hier der Polder, laut Modell spült er sogar mehr Sedimente aus der Elbe heraus als hineingetragen werden.
Gleichzeitig verringern alle Varianten das Überflutungsrisiko. In Zukunft wird der Meeresspiegel steigen und Sturmfluten könnten häufiger und höher auflaufen. Eine wiederbelebte Süderelbe würde aber zum Beispiel im Jahr 2100 die Fluthöhe um 20 Zentimeter senken, ein Seedeich um einen halben Meter und ein Polder sogar um einen Meter.
Für eine bessere Wasserqualität sind Sperrwerk oder Seedeich eher keine Kandidaten, denn sie sperren die Gezeiten aus. Doch die regelmäßige Durchmischung des Wassers brauchen wir, um ein „Umkippen“ des Flusses im Sommer zu vermeiden. Zusätzlich würde ein Sperrwerk den Salzgehalt weiter erhöhen – ungünstig für Ökosysteme, Landwirtschaft und Industrie.
Die wiederbelebte Süderelbe und der Polder sind für den Klimawandel am besten aufgestellt. Beide orientieren sich an natürlichen Flussläufen und nutzen quasi „die Intelligenz der Natur“. Natürlich müssen solch große Veränderungen viele Perspektiven einbeziehen und gemeinsam mit der Bevölkerung entwickelt werden. Tun wir jedoch nichts, nimmt sich die Elbe im Ernstfall einfach die Flächen, die sie braucht.
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Dr. Johannes Pein ist Experte für Strömungen und Modellierer. Er forscht am Helmholtz-Zentrum Hereon und im Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie