Wenn die Natur auf Nachhaltigkeit klagt
12. März 2024, von Prof. Dr. Frank Adloff
Foto: a.luciano-unsplash
Alle reden davon, viele versprechen es, einige versuchen es ernsthaft: Nachhaltigkeit. Ein Begriff, an dem sich Menschen weltweit orientieren, der aber häufig nur als Beschwörungsformel dient. Denn im Kern handeln wir nur dann nachhaltig, wenn Verbrauch und Regeneration von natürlichen Ressourcen im Gleichgewicht sind. So würden die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt und die Ökosysteme blieben erhalten. Blicken wir jedoch auf unseren Ressourcenverbrauch und kommende Klimaveränderungen, rückt dieses Ziel in weite Ferne.
Als Mitglied des Vorstands am Centrum für Erdsystemforschung und – eben – Nachhaltigkeit, dem CEN an der Universität Hamburg, interessiert mich besonders, wie Gesellschaften dem Klimawandel und dem Verlust der Biodiversität begegnen. Wie meine Forschung zeigt, gibt es dabei in der Praxis drei Wege, wie Nachhaltigkeit erreicht werden soll.
Da gibt es zum einen Maßnahmen die unter den Begriff „Modernisierung“ fallen. Viele favorisieren diesen Weg. Staaten, Nicht-Regierungs-Organisationen und die Industrie unterstützen die Vision, in der eine moderne „Grüne Wirtschaft“ ohne schädigende Nebenwirkungen einfach weiter produzieren und wachsen kann. Innovationen und CO2-Preise sollen den Klimawandel aufhalten und unsere Lebensgrundlagen erhalten. Die Bilanz ist allerdings ernüchternd: Das Artensterben schreitet voran, die Müllberge wachsen und die Erde erhitzt sich weiter.
Post-Nachhaltigkeit: Alles tun, damit die Lasten nicht größer werden
Deshalb fordern andere einen radikalen Wechsel: Transformation. Die Wachstumslogik des Kapitalismus muss aufgebrochen werden, denn die Ressourcen der Erde sind begrenzt. Das setzt dem permanenten Wachstum in jedem Fall ein natürliches Ende. Wirtschaft radikal neu zu denken, könnte eine nachhaltigere Entwicklung ermöglichen. Unsere Analysen zeigen jedoch, dass wir hiervon sehr weit entfernt sind.
Einen eher düsteren Charakter hat der dritte Weg, der über autoritäre Politik und Kontrolle funktioniert. Denkbar ist, dass Staaten oder Firmen eigenmächtig Geoengineering-Maßnahmen durchführen, die EU-Außengrenzen könnten verstärkt werden oder Eliten sich in sicheren Zonen abschotten. Weil aktuelle Krisen sich zu einem ökologischen Notstand entwickeln können, erwarten wir tatsächlich, dass Kontrolle zukünftig stärker eingesetzt werden wird. Demokratische Prozesse könnten ausgehebelt werden und der Staat direkt eingreifen. Weltpolitisch deutet derzeit einiges darauf hin.
Der Natur Rechte verleihen
Echte Nachhaltigkeit lässt sich jedoch auf keinem dieser Wege noch rechtzeitig erreichen. Von Plastik- und Atommüll über die Erwärmung der Atmosphäre und der Ozeane hat die Menschheit tiefgreifende Veränderungen herbeigeführt, die nachfolgenden Generationen eine enorme Last aufbürden. Genau genommen befinden wir uns daher im Zeitalter der Post-Nachhaltigkeit. Wir sollten alles dafür tun, die Lasten nicht noch größer werden zu lassen.
Ein Lichtblick ist dabei ein Ansatz aus den Rechtswissenschaften. Er kommt aus der Modernisierung, kann aber transformativ wirken: Im Jahr 2008 hat das Land Ecuador in seiner Verfassung der Natur Rechte zugesprochen. Seitdem können Einzelpersonen oder Gruppen stellvertretend klagen, wenn die Rechte eines Ökosystems verletzt werden, weil es zum Beispiel verschmutzt oder beschädigt wird. 2017 wurde ein Fluss in Neuseeland zur juristischen Person erklärt, in Spanien ist die Lagune Mar Menor als erstes Ökosystem in Europa seit 2022 als Rechtsperson anerkannt. Hieraus resultierende Urteile könnten in Zukunft weltweit Impulse geben.
Mehr Infos
Prof. Frank Adloff ist Soziologe. Er forscht zu Zukünften der Nachhaltigkeit und ist Mitglied im Vorstand des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie