Droht ein Rückschritt in der Klimapolitik?Klima-Check der Wahlprogramme
17. Februar 2025, von Tilman Santarius, Lukas Weissenberger; Deutsches Klima-Konsortium (DKK)

Foto: UHH/CEN/T. Wasilewski
Für die anstehenden Bundestagswahlen hat das Deutsche Klima-Konsortium jenen sieben Parteien, die eine reelle Chance haben, in den Bundestag einzuziehen oder bisher dort vertreten waren, einen Brief geschrieben, um aus wissenschaftlicher Sicht auf den Zustand der derzeitigen weltweiten Emissionen und der globalen Erwärmung hinzuweisen.
Im Brief wurden vier zentrale Anliegen formuliert, die aus Sicht des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) in allen Parteiprogrammen berücksichtigt werden sollten, um den Klimawandel wirksam zu begrenzen. Der Brief an die Abgeordneten findet sich hier.
Im Folgenden analysieren wir entlang dieser vier Anliegen, ob die Parteiprogramme von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, die Linke, BSW und AfD den Kriterien des DKK entsprechen.
1. Eine explizite Anerkennung der deutschen Klimaziele, und zwar nicht nur des langfristigen Ziels der Treibhausgasneutralität bis 2045, sondern auch der Zwischenziele 2030 und 2040.
Im Programm der SPD steht, „wir bekennen uns klar zu den Klimazielen für Deutschland und die EU”, ohne jedoch zu konkretisieren, welche Ziele gemeint sind. Die Union benennt klar das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 – allerdings im Zusammenhang mit der Wahrung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Tragfähigkeit. Die wichtigen Zwischenziele für 2030 und 2040 nennt die Union nicht erwähnt. Bündnis 90/Die Grünen bekennen sich zum Ziel bis 2045 sowie zum minus-90%-Ziel bis 2040; das Ziel für 2030 bleibt jedoch außen vor. Das Parteiprogramm der Linken trägt als einziges der wissenschaftlichen Einschätzung Rechnung, dass die Ziele im Klimaschutzgesetz ambitionierter werden sollten, und möchte Treibhausgasneutralität bis 2040 erreichen; allerdings werden keine Etappenziele genannt.
Ganz im Gegensatz dazu verabschiedet sich die FDP vom bundesdeutschen Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und möchte nur noch ein EU-weit einheitliches Ziel bis 2050 anstreben. Das BSW bekennt sich zwar zum Pariser Klimaabkommen, benennt aber weder lang- noch mittelfristige Ziele für Deutschland. Die AfD erklärt, dass die Frage nach dem Anteil des Menschen am Klimawandel wissenschaftlich ungeklärt sei, und möchte aus dem Pariser Abkommen und dem Europäischen Green Deal aussteigen.
2. Eine Benennung konkreter Ziele und Maßnahmen für alle Sektoren, insbesondere für den Verkehrs- und Gebäudesektor, in denen bisher weniger Fortschritte erzielt wurden, damit die Klimaziele insgesamt verlässlich erreicht werden können.
Union, SPD, Grüne und FDP sehen von konkreten Klimazielen für einzelne Sektoren ab. Union und FDP möchten in zentralen Sektoren (Mobilität, Bauen etc.) sogar bestehende Auflagen abschaffen und stattdessen schrittweise alle Sektoren in den EU-Emissionshandel einbeziehen.
Als einzige Partei schlägt die Linke in ihrem Wahlprogramm explizit die Wiedereinführung verbindlicher Reduktionsziele für alle Sektoren vor, die erst 2024 aus dem Klimaschutzgesetz (KSG) entfernt wurden. Das Wahlprogramm der Grünen kündigt an, die Verantwortung von Sektoren im KSG stärken und bei prognostizierter längerfristiger Zielverfehlung verbindlich nachsteuern zu wollen – lässt aber offen, wie das umgesetzt werden soll. Konkrete Ziele nennt die Partei allerdings für Strom: bis 2030 sollen 80%, bis 2035 100% des Stroms klimaneutral erzeugt werden. Grüne und die Linke möchten den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen und plädieren dafür, einen Ausstieg aus Erdgas zu beschließen.
Was konkrete Maßnahmen betrifft, machen insbesondere die Grünen viele differenzierte Vorschläge für alle Sektoren; in Detailgrad und Ambition sticht dieses Programm gegenüber allen anderen heraus. Weniger umfangreich finden sich auch bei der Linken, BSW, Union und SPD konkrete sektorale Maßnahmen. Die FDP plädiert indessen dafür, vor allem auf Anreize durch CO2-Bepreisung und Emissionshandel zu setzen, und benennt keine Maßnahmen.
CDU, FDP, AfD und BSW fordern die Abschaffung des EU-weiten Verbots der Neuzulassung von Verbrennermotoren ab 2035 und möchten die Kernenergie wiederbeleben. CDU, AfD und BSW fordern zudem die Abschaffung des Gebäudeenergiegesetzes. AfD und BSW fordern auch die Abschaffung von CO2-Abgaben. Die FDP möchte die KFZ-Steuer wegfallen lassen. Das BSW möchte den europäischen Emissionshandel entweder globalisieren oder abschaffen. Die Linke lehnt den ab 2027 geplanten Emissionshandel in den Sektoren Gebäude und Verkehr ab. Die AfD lehnt letztlich „jede Politik und jede Steuer ab, die sich auf angeblichen Klimaschutz beruft“. Sie möchte die Nutzung fossiler Energieträger intensivieren, etwa durch eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken. AfD und BSW möchten über eine Reparatur der Nord-Stream-Pipelines wieder verstärkt Erdgas aus Russland einführen. Die FDP plädiert dafür, die heimische Erdgasförderung durch Fracking auszubauen.
3. Die Bereitstellung von ausreichenden öffentlichen Mitteln sowie die Benennung von Maßnahmen zu ihrer Mobilisierung für umfassende Investitionen in die Dekarbonisierung von Infrastrukturen.
Alle Parteiprogramme mit Ausnahme der AfD machen diverse Vorschläge für Infrastrukturinvestitionen, wenngleich die Programme von FDP und BSW deutlich weniger benennen als die anderen Programme.
Die Linke konkretisiert, dass der Staat in den nächsten 10 Jahren geschätzt 600 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen bereitstellen müsse, um Infrastrukturen zukunftsfähig zu machen. Die Grünen erwähnen, dass der Investitionsstau im dreistelligen Milliardenbereich liege. Keines der anderen Parteiprogramme benennt, welche Summe an (öffentlichen) Mitteln für Investitionen bereitgestellt werden soll.
SPD, Grüne und BSW sprechen sich für eine „Reform“ der Schuldenbremse aus, die Linke gleich für ihre „Abschaffung“. SPD und Grüne kündigen außerdem die Einführung eines „Deutschlandfonds“ für Zukunftsinvestitionen an. Die Grünen nennen keine konkreten Summen oder Mechanismen für den Fonds; die SPD verspricht, den Deutschlandfonds mit anfänglich 100 Mrd. Euro zu füllen und plant einen „Zukunftspakt Bund, Länder, Kommunen”. Durch den Pakt sollen zusätzliche Einnahmen aus einer Reform von Erbschafts- und Schenkungssteuern sowie einer neuen Vermögensteuer für Superreiche den Ländern und Kommunen für Investitionsmittel zufließen. Das Programm der Linken führt sehr konkrete Optionen für Steuererhöhungen und neue Steuern an (Finanztransaktionssteuer, Reichensteuer u.a.), um die Höhe des im Programm genannten Investitionsbedarfs zu decken.
Die Programme von Union, FDP und AfD heben nicht einmal den besonderen Bedarf – und die besondere öffentliche Aufgabe – für eine Investitionsoffensive zur Dekarbonisierung von Infrastrukturen hervor; die AfD lehnt eine Dekarbonisierung der Wirtschaft prinzipiell ab. Diese drei Parteien halten zudem an der Schuldenbremse fest.
4. Eine Benennung von Maßnahmen für eine sozial gerechte Klimapolitik, vor allem wie die Einnahmen aus der steigenden CO2-Bepreisung für eine Kompensation steigender Lebenshaltungskosten von Haushalten mit geringem Einkommen verwendet werden sollen.
Grüne, FDP und Linke sprechen sich explizit für die Einführung eines Klimagelds aus (FDP: „Klimadividende“), um die Einnahmen aus dem Emissionshandel als Direktzahlung pro Kopf zurück zu erstatten.
Die Grünen kündigen zudem an, Förderprogramme durch soziale Staffelung insbesondere auf Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen zuzuschneiden. Im Verkehrsbereich möchten sie sozialen Ausgleich zum einen durch den Ausbau eines kostengünstigen ÖPNV schaffen, im ländlichen Raum etwa durch Rufbusse und digital vernetzte Kleinbusse. Zum anderen soll eine steuerliche Förderung für den Erwerb von E-Autos und die Einführung einer Ladekarte zum Tanken die E-Mobilität speziell für kleine und mittlere Einkommen begünstigen.
Die Linke wird beim Klimageld konkret und möchte es in Höhe von jährlich 320 Euro pro Person rückwirkend zum 1.1.2025 einführen. Darüber hinaus werden sozial gestaffelte Energiepreise vorgeschlagen, wofür ein Energie-Soli als Zuschlag auf obere Einkommenssteuerklassen und auf Kapitalertragssteuern eingeführt werden soll. Für den Verkehrsbereich wird außerdem ein kostenloses Nahverkehrsticket für Schülerinnen, Azubis, Studierende und Seniorinnen versprochen sowie perspektivisch ein kostenfreier ÖPNV in Aussicht gestellt. Strom-, Wärme- und Gasnetze sollen in die öffentliche Hand überführt werden.
Auch wenn Politiker*innen von SPD und CDU mitunter mit der Einführung eines Klimagelds werben, nennt das Wahlprogramm der Union ein Klimageld nicht, sondern verspricht stattdessen eine Reform der Netzentgelte sowie eine Reduktion der Stromsteuern durch CO2-Einnahmen, um den Strompreis zu senken. Es bleibt unklar, wie der soziale Ausgleich im Gebäudebereich ausgestaltet werden soll, wenn die Union dort eine stärkere CO2-Bepreisung favorisiert.
Die FDP plant ebenfalls eine Reform der Netzentgelte und schlägt vor, die Stromsteuer in einem ersten Schritt auf das EU-Mindestmaß abzusenken und schließlich auf europäischer Ebene ihre Abschaffung zu erwirken. Das BSW möchte Energienetze verstaatlichen und Netzentgelte auf ein Minimum reduzieren.
Die SPD widmet zwar ein ganzes Kapitel ihres Wahlprogramms einem „Klimaschutz, den sich jeder leisten kann“, führt aber nur wenige konkrete Maßnahmen an. Ein Klimageld wird lediglich beispielhaft benannt; eine Deckelung der Netzentgelte wird in Aussicht gestellt, bleibt aber unkonkret; für ärmere Haushalte soll ein soziales Wärmepumpen-Leasing angeboten und die Beratung des Strom-Spar-Checks ausgebaut werden. Insgesamt setzt die SPD auf Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe insbesondere der Kommunen, weshalb bspw. lokale Wärmepläne gefördert werden sollen.
Fazit:
Das Programm der FDP steht für einen deutlichen Rückschritt in der Klimapolitik. Die Programme von Union und SPD deuten insgesamt keine Steigerung der klimapolitischen Ambitionen an; vor allem im Verkehrs- und Gebäudesektor steht auch das Programm der Union für einen Rückschritt. Das Programm vom BSW ist ambivalent, weil es zwar einige progressive klimapolitische Maßnahmen vorschlägt, aber zugleich wirksame bestehende Instrumente abschaffen möchte. Die AfD leugnet den Klimawandel und lehnt Klimapolitik prinzipiell ab.
Die Programme von Grünen und Linken sind am ehrgeizigsten. Während die Grünen mit Abstand die meisten konkreten Maßnahmen vorschlagen, scheuen sie im Vergleich zur Linken davor zurück, bei den übergeordneten klimapolitischen Zielen nachzubessern und die verbindlichen Sektorziele wieder einzuführen.
_________________________________________
* Hinweis: Eine erste Version dieser Stellungnahme ist im Dezember 2024 erschienen, als jedoch noch nicht alle Wahlprogramme vorlagen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Stellungnahme, 10.2.2025, lagen einige der analysierten Programme immer noch nicht final verabschiedet vor.
Zu den Autoren: Tilman Santarius ist Geschäftsführer, Lukas Weissenberger studentischer Mitarbeiter des Deutschen Klima-Konsortiums.
Das CEN mit dem Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS ist langjähriges Mitglied im DKK.