Hirten mit Handy sind schneller mobil, wenn Ressourcen knapp werdenKünstliche Welt zeigt, wie digitale Kommunikation die Migration beeinflusst
1. Juni 2021, von Miguel Rodriguez Lopez
Foto: M.Gebhardt/Pixabay
Hirtinnen und Hirten brauchen Wasser und Weideland für ihre Tiere. In Trockengebieten müssen sie ihren Standort immer wieder wechseln, weil sich diese Weidegründe im Jahresverlauf verschieben. Mobilität ist also Voraussetzung für den Lebensunterhalt. Doch was, wenn sich der Wassermangel durch den Klimawandel verschärft?
Ich interessiere mich besonders dafür, wie die Kommunikation per Handy die Mobilität beeinflusst. Denn Migration hat ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen und Auslöser. Am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg habe ich dies mit meinem Team an einer künstlichen Welt im Computer erforscht.
Um die Bewegungen untersuchen zu können, haben wir am Rechner eine vereinfachte digitale Umgebung geschaffen. In dieser können sich die Hirten als so genannte „Agenten“ bewegen. Wir definieren die Umgebung selbst. Hat sie zum Beispiel Außengrenzen? Wo gibt es Ressourcen wie Wasser oder Weideland? Darüber hinaus statten wir die einzelnen Agenten mit unterschiedlichen Eigenschaften aus. Besitzen sie ein Mobiltelefon? Haben sie viele Freunde oder eine große Familie, mit denen sie kommunizieren? So können wir später vergleichen, welche Gruppe welches Wanderungsverhalten zeigt.
Gleichzeitig haben die Agenten Bedürfnisse – die wir ihnen einprogrammieren. Fehlt zum Beispiel Wasser für das Vieh, dann ziehen sie unter bestimmten Bedingungen weiter. In unserem Beispiel soll der Klimawandel die Lage in den Trockengebieten zusätzlich verschärfen. Wir verknappen also die fruchtbaren Weidegründe noch stärker.
Ähnlich wie mit GPS können wir in unserer virtuellen Landschaft die Position der Agenten verfolgen. Wir beobachten, wann sie starten und wovon das abhängt. In welche Richtung ziehen sie und wie weit?
Die Ergebnisse zeigen: Kommunikation spielt stets eine große Rolle. Besitzen sie Handys, bewegen sich die Agenten jedoch gleichzeitiger, schneller und stärker. Mehr Menschen brechen auf, sie überwinden größere Strecken, es kommen aber auch mehr zurück. Denn wenn sich viele auf den Weg gemacht haben, werden die Weidegründe auch am Zielort schnell knapp. So kehrt stets ein Drittel der Menschen an den Ausgangspunkt zurück.
Schon vor der Mobilfunk-Ära waren individuelle Entscheidungen von Kommunikation abhängig. Über persönliche Kontakte oder Briefe von bereits migrierten Verwandten erhielten Menschen wichtige Informationen. Doch die Neuigkeiten kamen damals nicht so prompt und gleichzeitig an. Trotzdem gilt: Egal ob mit Handy oder ohne, die Gesamtzahl der Migrierten ist am Ende etwa gleich.
Erstmals bilden wir hier mit einfachen Mitteln komplexe menschliche Verhaltensweisen ab – ein toller Fortschritt! Exakte Vorhersagen macht unser Modell nicht, denn in der Realität gibt es weitere unbekannte Faktoren. Doch wir können jetzt vergangene Migrationsbewegungen analysieren, die Muster und Gründe dahinter verstehen und so Lösungen für die Zukunft entwickeln.
Bewegungsfreiheit ist ein Menschenrecht – und Migration gab es schon immer. Dennoch sind viele Staaten skeptisch gegenüber mobilen Gruppen in ihrer Bevölkerung. Sie gelten als weniger berechenbar und schwer zu kontrollieren. So wächst weltweit die Tendenz, diese zu stigmatisieren. Tatsache ist aber: Mobilität eröffnet den Menschen Spielräume und macht sie resilienter. Das kann existenziell sein. Besonders in Regionen, die vom Klimawandel betroffen sind.
Miguel Rodriguez Lopez
Dr. Miguel Rodriguez Lopez ist Ökonom und Politikwissenschaftler und untersucht am CEN Konflikte und Kooperationen im Zusammenhang mit dem Klimawandel.
Gastbeitrag: Dieser Artikel ist zuerst im Hamburger Abendblatt im Rahmen unserer monatlichen Serie zur Klimaforschung erschienen. Alle Artikel der Serie.